Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
Vom Netzwerk:
der Flasche. Nebeneinandersitzende, trinkende, essende, schweigende, glückliche Männer also, denen ganz auf sich gestellt eine seltene Kunst gelingt: genießen, ohne zu reden.
    Wenn man nun täglich sein Gläschen Wein zu sich nimmt, wird einem eine Bouteille Roter nicht vom Hocker hauen. Herr Friedmann allerdings wirkt beim zweiten Gläschen, als hätte er seinem Körper gerade das erste Vierterl seines Lebens verabreicht. »Ein guter Wein ist das!«, artikuliert er mit einem schon deutlich weicher gewordenen T, da ist der Metzger noch bei seinem ersten Glas.
    »Tja, Herr Friedmann, das ist auch einer der besten Zweigelt hierzulande, das sag ich Ihnen!«
    Bei »Ihnen« erhascht er einen sehr vertrauensseligen und leicht anhänglichen Blick, was den Metzger umgehend dazu motiviert, die Gesprächsleitung zu übernehmen und etwas persönlicher zu werden: »Und, haben Sie heute einen schönen Tag gehabt, um an unser Gespräch im Auto anzuknüpfen?«
    »Na ja, schön passt nicht wirklich.«
    Einen trockenen Humor hat er ja, der Friedmann, denkt sich der Metzger in Anbetracht dieser exakten Wiederholung seiner eigenen Antwort während der Heimfahrt. »Wieso?«
    Dann wird es anders.
    »Glück hab ich gehabt.«
    Jetzt könnte Herr Friedmann natürlich weitererzählen. Tut er aber nicht.
    Womit er offenbar zur Spezies jener Menschen zählt, die mit jeder ihrer kurzen Aussagen mehr Fragen hinterlassen, als sie Antworten geben, so die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Gesprächspartner erzwingen, ein kindisches Rätselraten inszenieren und ihre Zuhörer in eine hochgradig nervenaufreibende Interviewsituation manövrieren, in der nur mehr Fehler gemacht werden können. Und wehe, der Gesprächspartner wird des Fragens müde oder beginnt, sich nebenbei zu beschäftigen, dann folgt umgehend ein: »Es interessiert dich nicht, was ich dir erzählen will«, »Du hörst mir nicht zu«, »Mit dir kann man nicht reden«.
    Als hilfreiches Mittel gegen diese eigentlich für Partnerschaften vorgesehene Konflikterzeugungsstrategie eignen sich für gewöhnlich ein paar Tropfen Alkohol hervorragend. Um den Friedmann-Redefluss in Gang zu bringen, muss der Metzger allerdings noch ein wenig nachschenken.
    »Glück haben Sie gehabt? Wieso Glück?«
    »Ist mir was vors Auto gesprungen.«
    »Ein Reh?«
    »Zum Glück nur ein Hase.«
    »Und, was kaputt?«
    »Ja, der Hase. Hab ihn vergraben.«
    Nachfragen kann sich also auszahlen. So schnell werden erdige Schaufeln und blutige Handschuhe zu den harmlosesten Utensilien eines Kofferraums.
    Das war's dann wieder ein Weilchen mit dem Reden. Und nun packt den erleichterten Willibald ein wenig die Neugierde, als hätte ihn seine Danjela angesteckt, was ja kein Wunder ist. Menschen übernehmen unweigerlich gewisse Eigenschaften ihrer Partner, oft so lange, bis sie in sich selbst immer mehr vom anderen und im anderen immer mehr von sich selbst sehen. Was dazu führen kann, dass sie irgendwann als die anderen, die sie geworden sind, an sich selbst gar nicht mehr herankommen. Der Metzger erkundigt sich also: »Und, wie lange werden Sie noch hierbleiben?«
    »Bis morgen.«
    »Schon tragisch, das mit Ihrem Vater.«
    Herr Friedmann beginnt, sein mittlerweile wieder leeres Glas am Tisch hin und her zu schieben, dann steht er auf und geht: »Muss aufs Klo, komm gleich.«
    Die Zeit nützt auch der Metzger, ruft seine Danjela an, um Gute Nacht zu wünschen, entledigt sich eines Tröpferls und holt das nächste.
    »Und jetzt probieren Sie den!«
    Ein herrlicher Oxhoft atmet Bergluft und landet mit einer überraschenden Assoziation im Friedmann-Rachen: »Rache fürs Leben!«
    »Was meinen Sie?«
    »Der Tod meines Vaters!«
    »Warum?«
    »Sterben im Wasser. Dort, wo er immer hingeflüchtet ist. Obwohl wir ihn gebraucht hätten!«
    Es folgt der nächste Schluck, und in Anbetracht der hemmungslosen Trinkfreude wäre irgendein Tetrapack-Vino-rosso-Verschnitt weitaus angemessener.
    »Wie gebraucht?«
    Dann passiert es endlich. Der Wein wirkt, und die Zunge wird locker: »Wie man halt einen Vater nur brauchen kann, wenn zu Hause der Satan in Gestalt des Großvaters umgeht und die Mutter vorm Teufel hab Acht steht! Da wäre ein Vater schon hilfreich, oder? Aber nein, geschlichen hat er sich, war mehr im Stall bei den Viechern als bei seinen Kindern und seiner Frau. Einmal Knecht, immer Knecht!«
    Das Glas wird geleert und etwas heftiger auf den Tisch zurückgestellt. »Die drei Wochen Kur, das war das erste Mal, dass er von zu

Weitere Kostenlose Bücher