Der Metzger geht fremd
Finger.
»Ihr Ehering, der ist Ihnen während des Schlafens aus der Hose gefallen.«
»Das ist nicht mein Ehering. Hat meinem Vater gehört!«
Herr Friedmann nimmt das Schmuckstück entgegen, stemmt sich vom Tisch hoch und torkelt ohne jedes weitere Wort zur Haustür.
Ich sollte ihn begleiten, diesen betrunkenen und so gebrochenen Friedmann, denkt sich der Metzger. Aber er kann einfach nicht aufstehen. Zu sehr drückt es ihm aufs Herz, zu sehr fühlt er sich, als wäre er in ein Labyrinth gestiegen und bereits nach der ersten Ecke hilflos darin verloren.
Irgendetwas stimmt hier nicht.
Ein Ring im Wald mit » August-David 1.4.1974«, ein anderer am Finger des lebenden Herrn Friedmann senior und nach dessen Tod im Hosensack des Juniors mit » Luise 14.1.1974« – entweder war der Zufall Regisseur einer unvorstellbaren Namensgleichheit, der Gold-schmied ein schwerer Legastheniker oder August-David Friedmann mit zumindest zwei Frauen verheiratet. Wobei die aktuelle Ehefrau jene gewesen sein muss, die er drei Monate früher geheiratet hat, was dem Metzger besonders eigenartig erscheint.
Da wird noch einiges Eigenartige mehr dazukommen.
31
D ANJELA D JURKOVIC HAT kaum geschlafen.
Lieb ist er am Telefon gewesen, ihr Willibald, auch wenn es natürlich nur lieb und keineswegs ehrlich gemeint war. Fürsorglich gelogen hat er ihr erklärt, sie solle den morgigen Tag genießen, Extrabehandlung müsse ja nichts Schlechtes bedeuten, und ganz so schlimm sei das bisschen In-einem-fremden-Zimmer-Herumstöbern ja nicht gewesen.
Doch die Danjela weiß: Es war schlimm, zweifelsohne, und vor allem riskant. Wer von der eigenen Neugierde schon beinahe ins Jenseits geschickt wurde und zum Glück nur im Koma gelandet ist, klettert aus Wissensdurst nicht über einen Balkon in fremde Zimmer. Normalerweise! Sicher, was ist schon normal, außer dass Menschen, je mehr sie zu sagen haben, umso öfter die anderen für blöd verkaufen? Aber in diesem Fall ist selbst der Danjela klar, dass es ihr gehörig an Ehrfurcht gegenüber dem Geschenk der Restlebenszeit gemangelt hat. Entsprechend grüblerisch ist ihr der Schlaf durch die Finger gerutscht. An diesem seltsamen Morgen erkennt die Djurkovic wenigstens das Resultat dieser schrecklichen Nacht und ihrer Auseinandersetzung mit dem bisher Geschehenen: Ja, sie gesteht es sich ein, sie hat gestrichen die Hosen voll.
Durch die Kuranstalt wandert der Tod und holt sich seine Schäfchen. Und sie ist sich sicher, dieser Tod geht auf zwei Beinen, hat einen Staatsbürgerschaftsnachweis, ein Geschlecht und ist mitten unter ihnen. Womöglich kennt sie seine Fratze, sein Parfüm und seine Zimmernummer. Womöglich begegnet sie ihm beim Frühstück, oder sie begegnet dem nächsten Opfer Aug in Aug – vielleicht sogar im Spiegel. Ein Schauer läuft ihr über den Rücken. Hörst du auf denken!, geht es ihr durch den Kopf. Danjela Djurkovic hat Angst, blanke Angst, und was nützt da schon das Hirn? Dazu kommt, dass sie sich zum ersten Mal in dieser Kuranstalt wirklich alleingelassen fühlt, und das hat nicht nur mit der baldigen Abreise ihres Willibald zu tun, sondern auch mit Helene Burgstaller. Vorbei ist diese Zweisamkeit.
Kürzer angebunden und unlustiger hätte ihre Gesellschaft beim Abendessen nicht sein können. Während die Burgstaller in ihren Unterhaltungen kürzlich noch mit einem ausgesprochen hohen humoristischen Fingerspitzengefühl brillierte, war von diesem Fingerspitzengefühl lediglich das Unvermögen einer Dreijährigen übrig, die vor ihrem funkelnagelneuen Zauberkasten hockt und verzweifelt einen Plastikjeton durch ihre kleinen Finger wandern lassen will. Bei der Burgstaller war der Jeton in diesem Fall eine Solariumsmünze. Kaum dass dann vom Kaiserschmarrn nur noch die heraussortierten Rosinen auf dem Teller lagen, eilte sie davon, um in mehrfacher Hinsicht selbst angebraten zu werden – natürlich ohne ihrer ehemaligen Vertrauten zu erzählen, wer nach erfolgter Bräunung am Herd stehen würde.
Wenigstens begrüßt sie an diesem Morgen ihr Masseur und Physiotherapeut Jakob Förster mit ausnehmender Freundlichkeit: »Liebe Frau Djurkovic, heute steht für Sie eine Extrabehandlung auf dem Programm. Es erwartet Sie ein Bade- und Massageritual in Kombination mit Wasserdampf, einem straffenden Meersalzbad und einer wohltuenden Ganzkörper- und Fußreflex-zonenmassage. Danach werden Sie verwöhnt mit einer Thalasso-Gesichtsbehandlung. Am Nachmittag dann Mani- und Pediküre,
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