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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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Hause weg ist, der feige Hund, ganz offiziell und allein. Ich kenn meinen Vater nicht, obwohl er jeden Tag mit mir beim Tisch gehockt ist. Hab ihn hier nur besucht, um ihn kennenzulernen. Bin auch extra länger geblieben, ohne Erlaubnis, dafür erwartet mich am Hof die Hölle. Und dann stirbt dieses Schwein. Haut ab, wie immer. Ohne ein Wort. Das Einzige, was er uns vererbt hat, ist ein Rätsel.«
    Jetzt ist der Metzger angesichts dieser unglaublichen Wucht an Offenheit ziemlich ratlos. Noch dazu, wo dieser Mensch neben ihm äußerst niedergeschlagen wirkt.
    Mitleid bewirkt bei Anteil nehmenden Menschen oft überraschende Verhaltensformen: Draufgänger, die spontan mitheulen; Hypochonder, die erklären: »Du musst dich jetzt zusammenreißen!«; Pessimisten, die meinen: »Das wird schon wieder, Kopf hoch!« – und kleine Schurken, die ein Geständnis ablegen.
    So wie der Metzger. Denn beinah unerträglich brennt ihm das an sich belanglose Diebesgut in seiner linken Jackettinnentasche. Gut, er hat es zufällig bei seiner konzentrierten Vorderzahnsuche entdeckt. Nur: Etwas zu finden und es dann mitgehen zu lassen, obwohl man weiß, wem es gehören könnte, das ist Entwendung. Und weil der Metzger diesbezüglich bei Weitem rühriger ist als seine Danjela, zieht er das Kuvert heraus: »Ich glaub, das gehört Ihnen. Das hab ich heute Morgen auf dem WC gefunden!«
    »Oh.«
    Dankend, ohne weiteren Kommentar nimmt Herr Friedmann das » FüR MEINEN S OHN «-Kuvert entgegen, mit Augen voll Traurigkeit, die sich längst hinter den schützenden Vorhang geschlossener Lider sehnen.
    Die beiden sitzen noch ein Weilchen beisammen, bis Herrn Friedmanns Schweigen in ein lautstarkes gleichmäßiges Atmen übergeht. Mit jedem Luftstrom auswärts bewegt sich sein Körper ein Stückchen weiter nach rechts, ganz Willibalds breiter Schulter zugeneigt. Vorsichtig stoppt der Metzger dieses große Kind und führt es behutsam in die Waagrechte.
    Es ist ein lauer Sommerabend.
    Es wird eine ebensolche Nacht.
    Gelegentlich nickt der Metzger, der natürlich den Friedmann weder aufweckt noch allein auf dieser Bank hier liegen lässt, selbst ein. Ein durchaus angenehmes Einnicken, umgeben vom friedlichen Friedmann-Atem und anderen Geräuschen der Nacht. Und würde sich da kein weiteres dazumischen, es wäre wohl seine erste Nacht im Freien geworden.
    Schuld an diesem romantischen Konjunktiv ist ebenfalls etwas anfangs durchaus Romantisches. Ein Waldkäuzchen heult sein lang gezogenes »Huh-Huhuhu-Huuuh« in die Nacht, und aus dem offenen Hackenberger-Schlafzimmerfenster dröhnt der Urlaut der Vertraulichkeit, der mehr Zusammengehörigkeit zum Ausdruck bringt als ein multikonfessionelles »Oh Gott«: Synchron schnarchen die Eheleute vor sich hin, gleich wie die Käuzchen reviertreu, in lebenslanger monogamer Gemeinschaft vereint.
    Das Romantische daran ist nicht, dass der Metzger gedanklich ganz seiner Danjela zugetan ist, sondern dass dem grunzenden Friedmann beim Umdrehen von der Seiten- in die Bauchlage etwas aus der Hosentasche kullert und vor den Schweinslederschuhen des Restaurators liegen bleibt.
    Ein goldener Ehering.
    Zum zweiten Mal schon, dass der Metzger auf so ein Schmuckstück stößt, als wäre es ein an ihn gerichtetes Symbol. Vorsichtig hebt er ihn vom Boden auf. Ein Ehering ohne Schnörkel, ohne Edelsteineinsätze oder fragwürdige Musterung. Im Inneren eingraviert, steht in der üblichen kunstvollen Schrift: » Luise 14.1.1974«.
    Als würde ihm der Verlust seines Schatzes schwere körperliche Schmerzen bereiten, beginnt Herr Friedmann nun im Schlaf zu jammern. Dieses leise Klagen geht dem Metzger durch Mark und Bein. Dazu mischt sich ein leises Tropfen, nur es sind keine Tränen, die da von der Bank zu Boden fallen.
    Von einer erschütterten Betroffenheit erfasst, wird der Metzger nun Zeuge, wie sich ein erwachsener Mann im Schlaf in die Hosen macht. Keine Sekunde denkt der Willibald daran, die Ursache für diesen erbarmungswürdigen Anblick dem erhöhten Alkoholkonsum in die Schuhe zu schieben. Zu sehr ist dem Friedmann die blanke Angst auf den Leib geschrieben. Er dreht sich zurück in die Seitenlage, krümmt seinen Körper, rollt sich zusammen, stöhnt auf und erwacht. Suchend irrt ein bestürzter Blick durch die Dunkelheit, erst wie er den Metzger-Augen begegnet, scheint er Frieden zu finden. Langsam setzt sich Herr Friedmann auf, schaut ohne große Verwunderung kurz auf seinen Schritt und dann dem Metzger auf die

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