Der Metzger geht fremd
fliehen, da war er schon zehn Jahre frei. Erst in dieser Freiheit waren sie wieder aufeinandergetroffen.
Anfangs sind sie sich öfter begegnet. Sie hatte ihn ausfindig gemacht. Vor ihm stand kein Kind mehr, nicht mehr dieses wehrlose Geschöpf, vor ihm stand eine wunderschöne Frau, der er ins Leben half. In ein Leben ohne Angst, in das Leben eines wohlgesinnten Himmels. Die ersten Jahre war der Kontakt zu ihr so etwas wie Familie. Dann mussten sie voreinander fliehen, um sich nicht gegenseitig zu Gefangenen zu machen.
Lange Zeit sind sie sich daraufhin aus dem Weg gegangen, aus Schutz füreinander, aus Angst vor so viel Sünde. In dieser Zeit heiratete er, aus Flucht, aus Verzweiflung, nahm den Namen dieser Frau an, als könnte ihn ein anderer Name von seinem Bluterbe reinwaschen, als könnte er so seine Liebe fortspülen. Zwei Jahre hat sie gehalten, diese Ehe, zwei Jahre waren seiner Frau genug: »Du lebst nicht mit mir, du lebst an mir vorbei!«, waren ihre Worte, und sie hatte recht.
Es blieben ihm der neue Name und die alte Last. Am letzten Weihnachtsabend war er vor dieser alten Last in die Knie gegangen und hatte seine Schwester angerufen, seither telefonierten sie, täglich.
Dieses heutige Wiedersehen wird sie auf lange Zeit wieder auseinanderführen. Es zerreißt ihn vor Schmerz. Er hat seinen liebenden Gott gefunden, auch ohne Taufe, und doch fühlt er ein verzehrendes Höllenfeuer um sich. Er darf sie nicht lieben. Nicht seine Schwester.
Sie ist weg.
Dafür ist etwas anderes hier. Eine Verunsicherung.
Wenn jemand, so wie diese Djurkovic, aus purer Neugierde so mutig ist, über einen Balkon zu klettern und in ein fremdes Zimmer zu steigen, ist dieser Jemand auch so verschlagen, angesichts einer drohenden Anzeige die Nerven zu bewahren.
Sie hat Winfried nicht alles erzählt, da ist er sich sicher. Ein Briefentwurf! Im Mistkübel! Mehr nicht? Das ist unmöglich. Da war mehr, und sie weiß mehr, viel mehr, ganz gewiss.
An dieses Wissen muss er herankommen.
Aus dem Nebenzimmer hört er eine Stimme.
Unglaublich, diese Frau liegt hier, und trotz all ihrer Schmerzen wirkt sie nicht zerbrochen. In ihren Augen ist Leben, Traurigkeit und zugleich Glanz. Er will ihr Zeit lassen, sie nicht mit Fragen quälen. Es muss von ihr ausgehen. Behutsam legt er seine Hand auf ihre Stirn, die Temperatur geht zurück.
Morgen muss er sie untertags allein lassen, morgen hat er wieder zu tun.
30
D IE HALBE S TUNDE vergeht im Flug, und wie der Metzger mit einer Flasche Zweigelt Mitterjoch und einem unguten Gefühl im Magen die Terrasse ansteuert, duftet es im Haus nach angerösteten Zwiebeln, als hätte Petar Wollnar die Verpflegung übernommen. Zum unguten Gefühl mischen sich Heimweh und ein wenig Sehnsucht nach seinem polnischen Hausmeisterfreund.
Kein Wunder, dass der Metzger auf der Hackenberger-Terrasse hofft, endlich den mittlerweile anständigen Hunger mit dem Inhalt seiner vor ihm stehenden offenen Flasche Rotwein ertränken zu können. Mit einer großzügig geschätzten Zwanzig-Minuten-Verspätung taucht endlich Herr Friedmann auf, in der einen Hand eine Pfanne, in der anderen zwei Gabeln und ein paar Scheiben Brot. »Von Ihnen der Wein, von mir das Essen! Ganz frische Steinpilze.«
»Selbst gefunden?«
»Natürlich!«
Schwammerl suchen war er also, denkt sich der Metzger skeptisch, wobei der Appetit längst das Kommando übernommen hat.
»Und wer hat Ihnen diese Prachtexemplare jetzt so wunderbar zubereitet? Frau Hackenberger?«
»Nein, meine mobile Einzelkochplatte. Aber warten Sie!«
Als wäre Hackenberger das passende Stichwort, dreht sich Herr Friedmann um, bückt sich, zupft im Beet neben der Terrasse herum und lässt die Ernte über die Pfanne rieseln: »Petersilie von Frau Hackenberger!«
Das wohlriechende Abendessen in Kombination mit diesem schweigsamen, ruhigen und so angenehmen Herrn Friedmann lässt schließlich jeden Anflug von Zweifel ersterben. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass es schon Menschen gegeben haben soll, die an servierten Pilzen erstickt wären, hätten sie nicht auf ihren Zweifel gehört.
Ein derart herrliches Pilzgericht hat er noch nie serviert bekommen, der Metzger. Wenn er nicht so gehörig von den manierlichen Essgepflogenheiten seines Kulturkreises verzogen wäre, er würde vor Freude schmatzen. Und während sich Willibald Adrian Metzger hauptsächlich mit dem Inhalt der Pfanne beschäftigt, widmet sich sein Nachbar, als wäre ein Tausch vollzogen, dem Inhalt
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