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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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wer, dass ich weg will. Nur meine Mutter hat eine Ahnung, und meinem Vater gegenüber hab ich es angedeutet, bei einem kurzen Gespräch in der Kuranstalt.«
    »Und wie hat er reagiert?«
    »Zuerst hat er nichts gesagt. Aber am nächsten Tag hab ich dann von ihm das Kuvert bekommen, das Sie mir da gestern zurückgegeben haben, und drinnen war sein Ehering. Ich solle ihn nehmen, hat er gemeint, als Erinnerung an ihn, er bräuchte und wolle ihn nicht mehr, weil es für ihn kein Zurück mehr gäbe. ›Ich beginne ein neues Leben, bevor es zu spät ist‹, hat er gesagt.«
    »Ihr Vater wollte auch weg?«
    »Das hat zu ihm gepasst. Zu wenig Rückgrat haben, um im entscheidenden Moment einzugreifen, und sich dann bei der erstbesten Gelegenheit davonschleichen. Was glauben Sie, warum meine Mutter so schlecht beisammen ist? Andererseits kann ich ihn auch wieder verstehen. Wer das Leben einmal aus einer anderen, schöneren Perspektive kennenlernt, will nicht mehr zurück!«
    »Ihnen steht ja noch das ganze Leben offen.«
    »Ich hoffe.«
    »Und wo wollen Sie jetzt hin?«
    »Eine kleine Wohnung, ganz in Ihrer Nähe.«
    Das ist dem Willibald jetzt ziemlich unheimlich. »Woher wissen Sie, wo ich wohne?«
    »Der Meldezettel. Ist mir ins Auge gestochen. Dieselbe Stadt.«
    Jetzt kenn ich grad mal seinen vollständigen Namen und er mein komplettes Datenblatt, denkt sich der Metzger.
    »Wenn Sie morgen in der Stadt zurück sind, rufen Sie an, die Nummer haben Sie ja, ich bring Ihnen die Möbel. Im Wagen sind sie bis dahin gut aufgehoben.«
    Ja, die Nummer kennt er auch noch, der Willibald, die hilft allerdings, was aktuelle persönliche Angaben betrifft, genauso weiter wie das Wissen, dass die wahrscheinlich mittlerweile verheiratete Karola, damals, als sie noch zwei Bankreihen weiter vorn saß, mit Mädchennamen Steininger gerufen wurde. Eheschließungen mit Namensänderung können auch formal zur Auslöschung einer Identität führen.
    Willibald Adrian Metzger lehnt etwas zusammengefallen an der Innenseite der Beifahrertür, schaut zum Fenster hinaus und fühlt sich auf eigenartige Weise bedrückt. Als wäre ein Unwetter in Anmarsch. Sie hat ihn mitgenommen, diese Ansammlung düsterer Begebenheiten. Noch einmal schlafen, dann geht es nach Hause, denkt er sich, ohne zu ahnen, dass diese Heimreise nicht das Ende seines dunklen Ausflugs bedeutet.
    Sascha Friedmann scheint ganz in Gedanken. Als spräche er zu sich selbst, flüstert er: »Ich bin ohnedies nicht der Erste.«
    »Wie bitte?«
    »Nicht der Erste bin ich, der diesen Sumpf verlässt. Wir waren nämlich einmal vier Geschwister am Hirzinger-Hof«
    Jetzt wird der Metzger natürlich hellhörig.
    »Mein ältester Bruder ist seit zwanzig Jahren weg, ohne jemals wieder gesehen worden zu sein, da war ich erst acht! Der würde mich heut gar nicht mehr erkennen.«
    Sascha Friedmann sinniert vor sich hin, als würde er in den hintersten Kämmerchen nach einer Erinnerung suchen.
    »Zehn Jahre später hat auch meine Schwester alles stehen und liegen lassen. Von heute auf morgen. Und jetzt, jetzt bin ich dran.«
    Wieder folgt eine Pause.
    »Das Schreckliche ist, ich hab von den beiden gar nichts, keine Adresse, nichts. Außerdem, wer weiß, ob meine Schwester überhaupt noch Friedmann heißt? Oder mein Bruder, es gibt ja auch Männer, die den Namen der Frau annehmen. Ich würde das machen, garantiert!«
    »Aber Sie kennen die Herkunft und die Vornamen Ihrer Geschwister, das ist doch ein Menge!«
    »Ja, die kenn ich.«
    Und?, denkt sich der Metzger.
    »Clara und Xaver.«
    Im Metzger-Hirn geht es rund, dagegen ist die Tokioer Börse ein Philharmoniker-Konzert. Wenn Xaver Friedmann seit zwanzig Jahren keinen Kontakt zu seiner Familie pflegt und die Danjela im Zimmer seines Vaters August-David ein Kuvert gefunden hat, auf dem nur groß dieser Name, aber keine Adresse steht, kann das bedeuten:
    •   August-David Friedmann hat aus reinstem Vergnügen zur Selbsttherapie einen Brief verfasst, der niemanden erreichen sollte und auch gar niemanden erreichen konnte, weil der Vater ja nicht wusste, wo sich sein ältester Sohn aufhielt;
    •   August-David Friedmann hat einen Abschiedsbrief oder ein Testament geschrieben und gehofft, die Hinterbliebenen oder ein Notar würden dafür sorgen, dass dieses Schreiben seinem Sohn Xaver ausgehändigt wird;
    •   August-David Friedmann hatte Kontakt zu seinem Sohn; und zwar solcherart, dass er den Brief an ihn gar nicht schicken, sondern übergeben oder

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