Der Metzger geht fremd
übergeben lassen wollte; was im Falle der persönlichen Übergabe bedeuten kann, die beiden haben sich getroffen und hätten sich noch einmal treffen wollen.
Und während der Metzger grübelnd im Wagen sitzt, taucht abermals ein Ortsschild dieses bereits am Vormittag passierten idyllischen Fleckchens Erde auf.
Offiziell bringt Sascha Friedmann den Metzger zurück zur Pension Hackenberger. Inoffiziell steht er am Beginn einer Expedition in ein neues Leben. Und für jemanden, dessen Fahrt einer Flucht gleichkommt, kommt gleich nach dem Aufbruch, wie das Amen im Gebet, die erste Schwierigkeit.
Denn nach der letzten Kurve, bevor es, diesmal aus der anderen Richtung, wieder zur Kirche und zum Hauptplatz geht, geht die Reise nach ein paar blubbernden Geräuschen nur mehr so weit, wie ein Kastenwagen ohne Motorleistung eben auszurollen imstande ist.
»Was ist jetzt los?«, gibt Sascha Friedmann fassungslos von sich. »Der Tank ist leer. Das kann nicht sein.«
An der Kirche vorbei kommen sie noch. Am Ende des Marktplatzes bleibt der Wagen dann allerdings stehen, und ein lautstarkes, zornerfülltes »Benedikt!« erfüllt den Innenraum.
Zuerst denkt der Metzger, Sascha Friedmann sucht die kürzestmögliche Variante, sein Stoßgebet an den Mann zu bringen, und adressiert dieses nicht an den fernen lieben Gott, sondern an den nahen Pontifex. So ist es aber offenbar nicht.
»Dieses Schwein, dieses elende Schwein!«
»Wer?«
»Mein Bruder. Benedikt. Der von vorhin.«
»Wieso elendes Schwein?«
»Das Benzin hat er mir abgezapft, oder weiß der Teufel was. Das kann nur er gewesen sein, hundertprozentig!«
»Warum?« Beim Metzger macht sich Sorge breit.
»Warum? Weil ein voller Tank nicht von alleine leer wird und weil er mich hasst bis aufs Blut! So wie sein Abgott, der Alte.«
Dann heißt es aussteigen und den Kastenwagen von der leicht abfallenden Straße wegschieben. Mit beinah übermenschlichem Krafteinsatz gelingt das auch. Diese Anstrengung tut gut und kanalisiert den Frust.
Bedeutend gefasster öffnet Sascha Friedmann den Laderaum, stellt den Lederkoffer zu Seite und entnimmt aus dem dahinterliegenden Fach einen Benzinkanister.
»Jetzt haben wir wegen der Möbel und der ganzen Aufregung auch noch vergessen, den Koffer Ihres Vaters dort zu lassen!«, meint der Willibald in Anbetracht des missachteten Gepäckstücks höflich und fühlt sich, obwohl er »benutzt« wurde, doch etwas mitverantwortlich für den ganzen Schlamassel. Immerhin steht da eine Wagenladung prall gefüllt mit Schätzen vor ihm.
»Welcher Koffer?«, fragt Sascha Friedmann.
»Na, dieser lederne hier, aus der Kuranstalt.«
»Wieso aus der Kuranstalt? Das ist doch meiner.«
»Sie haben nicht das Zimmer Ihres verstorbenen Vaters geräumt?«
»Nein, hab ich nicht«, antwortet Sascha Friedmann und öffnet die Motorhaube.
Wenn er all das, was sich mittlerweile als komplett anders herausgestellt hat, bereits im Vorfeld gewusst hätte, wäre der Metzger garantiert nicht für diesen kurzen Ausflug zu Sascha Friedmann ins Auto gestiegen.
Sascha Friedmann ist weder, wie anfangs angenommen, ein Xaver, noch hat er einen an Xaver gerichteten Brief angenommen, noch hat er das Zimmer 3.12 geräumt oder den Koffer seines Vater nach Hause gebracht. Wahrscheinlich war er während seiner Besuchswoche mit seinem Kastenwagen überall, nur nicht regelmäßig in der Kuranstalt. Sascha Friedmann ist auf der Flucht, mit einer Zieladresse ganz in der Nähe des Metzgers, mit einem offenbar durchwegs verworrenen, gefährlichen familiären Hintergrund und mit Angst in der Seele.
Sascha Friedmann hat allem Anschein nach allerdings weder zur Bildung dieser falschen Theorien beigetragen noch gelogen, nimmt der Metzger an und ist ein wenig beruhigt.
Mit einem äußerst unguten Gefühl steht er nun trotzdem neben der geöffneten Motorhaube und hofft, dass seine Danjela, er selbst und diese Möbel möglichst bald unbeschädigt zu Hause ankommen. Nicht ohne sich dabei über sich selbst zu ärgern. Die aus mangelnder Courage ausbleibende Offenheit und Ehrlichkeit können nämlich ganz schön in die Irre führen und gewaltigen Schaden anrichten. Hätte er einfach nur gefragt.
Und während der Willibald nun die neue Theorie aufstellt, dass das Zimmer von August-David Friedmann nur mehr dessen Sohn Benedikt geräumt haben kann, was auch die dortige Anwesenheit des Opel Kadett mit Heckspoiler erklären könnte, streckt Sascha den Kopf unter der Motorhaube hervor. »So,
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