Der Metzger geht fremd
Ausnahme alle Bänke leer sind, steigt die gebückt am Stock gehende, durchwegs in Schwarz gekleidete Dame genau in die Reihe, in der auch der Metzger sitzt.
Begleitet von ein paar angestrengten Atemzügen nimmt sie beim Schild » Fam. Zellmoser« Platz, aus ihrer Handtasche ein Gebetbuch inklusive Rosenkranz und nach einigen Minuten murmelnder Andacht, ohne zu fragen, das vor dem Metzger liegende Foto mit dem jungen Mädchen in die Hand. In der anderen rasseln die Holzperlen der Gebetshilfe.
Dann folgt aus ihrem Mund eine kleine Kreativmischung aus dem freudenreichen, dem lichtreichen, dem schmerzhaften und dem glorreichen Rosenkranz in den üblichen fünf Gesetzen:
l. Gsetzl aus: Der Glorreiche
»… von den Toten auferstanden ist…«
»Ja, wo hobens denn das Bild do her?« Ein unglaublich gütiger Blick trifft den verdatterten Willibald.
»Des is ja die kloani Paula, meine Güte wor des ein liabes Maderl. Gott hab sie selig!«, setzt sie leise hinzu, und ihre Augen strahlen, während sie das Bild betrachtet.
Großeltern hat das Leben dem Metzger vorenthalten, zu früh sind sie gestorben. So eine Oma, an der stets ein Halt zu finden ist, an jeder Falte ihres Rocks und ihres ins Gesicht geschriebenen Lebens, hat er nie gehabt. Etwas Liebevolles springt zwischen dem Willibald und der alten Dame hin und her. Leise, zum Metzger geneigt, fragt sie: »Hobens des Bildl wo gfunden, oder ghört des Ihnen? Gsehen hob ich Sie ja bei uns no nie?«
»Zufällig gefunden ist, glaub ich, die beste Erklärung«, flüstert der Metzger retour.
»Vielleicht findens ja die Paula auch zufällig. Des oarme Mädl is im Frühling 1974 von uns gegangen, da wor sie grad amoi fünfzehn Johr oilt. Was für a schlimmes Schicksal! Monatelang ham wirs davor schon net mehr gsehen, die Paula. Krank solls gwesen sein. Und plötzlich wor sie tot, zu Hause gstorben. A Begräbnis hat's scho gebn, nur Aufbahrung und Totenwache hoit net, des weiß i no genau. Seltsam wor des olles. Des mit der Paula hot uns damals olle sehr getroffen. Jaja, der Herrgott gibt's, und der Herrgott nimmt's. Im selben Jahr hot der Herrgott dann auch noch die Anna, ihre Mutter, die zweite Frau vom alten Hirzinger, zu sich gerufen. Schön für die Paula, wenigstens.«
2. Gsetzl aus: Der Lichtreiche
»… auf dem Berg geklärt worden ist…«
»Ghörn Sie leicht zum Sascha? Sein Wagen steht ja draußen.« Das Gebet zum Himmel scheint der liebenswerten alten Dame nun weniger ein Anliegen zu sein als das gedämpfte Gespräch mit Willibald Adrian Metzger.
»Ja. Wir haben leider eine kleine Panne.«
»Panne? Da, wo uns der Herrgott zufällig haltmachen lässt, is grad recht, sag ich immer! Na ja, vielleicht net ganz«, dabei tippt sie auf das Schild vorm Metzger. »Die alte Binderin hätt nämlich garantiert ka Freud, wenn da beim Haltmachen justament wer auf ihrem Platzerl hocken bleibt!« Ein verschmitztes Lächeln huscht über ihr Gesicht, dabei zieht sie die Augenbrauen hoch, legt den gestreckten Zeigefinger auf den Mund, untermalt von einem beinah lausbubenhaften »Psssst!«.
Lange wirkt er allerdings nicht, ihr Aufruf zur Andächtigkeit.
»Des is ein guter Junge, der Sascha. Ein guter Arbeiter und ein guter Mensch. Fleißig und ruhig. Und helfen tut er, wo er kann. Beim Schlachten, Bäumefällen, beim Umgraben, beim Hausbauen. Alles kann er. Mit welcher Hingabe der bei meinem Sohn den Dachstuhl neu gmacht hat! Und wie er dann fertig wor, des werd ich nie vergessen, is er da oben gstanden, wie auf einem Gipfel, mit zum Himmel hochgesteckten Armen, als wär ihm grad der Erzengel Gabriel erschienen. Dass der neben dem alten Hirzinger so ein friedfertiger Mensch gworden is, des grenzt an ein Wunder! Wahrscheinlich, weil er seine Mutter so verehrt.«
3. Gsetzl aus: Der Schmerzhafte
»… das schwere Kreuz getragen hat…«
»Jaja, der Hirzinger Hans! Den kenn ich, seit wir Kinder sind. Ein zäher Brocken is des, seit jeher. Zäh hat der ja irgendwie sein müssen, bei so viel Leid. Seine erste Frau, die Hilde, die is ihm nämlich auch schon weggstorben. Im Kindsbett. Des is ein Unglück, sag ich Ihnen. Da wor er allein mit seiner neugeborenen Tochter Luise. Zumindest bis zur Hochzeit mit seiner zweiten Frau, der Anna. Ja, und die hot er dann gemeinsam mit seiner Tochter Paula verloren. Tragisch. Wirklich tragisch. Blieben is ihm nur sei ältere Tochter, die Luise. Trotzdem. Des is olles noch lang kein Grund, so ein roher Mensch zu werden, oder? Glücklich wor der
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