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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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entledigt, um befreit zu sein, um die Enge zu vergessen.
    Diese Frau ist der Beweis, dass an der Friedmann-Geschichte etwas zum Himmel stinkt, und zwar gewaltig, mehr noch als der ganze verkommene Hirzinger-Hof.
    »Lieb von Ihnen, aber ich denke, es ist im Sinne aller, wenn ich so schnell wie möglich wieder weg bin.«
    Und da hat der Metzger jetzt natürlich einen Fehler gemacht, der nach dem Auftritt eines ichsüchtigen Menschen leicht passieren kann: nämlich dessen energisch geäußerten Sinn als den Sinn aller auszulegen.
    Sascha Friedmann nimmt dazu Stellung: »Die Möbel packen wir ein, die kommen gleich mit.«
    »Aber Sascha, du hast doch gehört, was dein Großvater gesagt hat.«
    »Wir nehmen sie mit, Mutter!«
    Traurig und zärtlich zugleich sieht Luise Friedmann ihren Sohn an, als hätte sie eine Ahnung. Ohne zu zögern, nimmt Sascha Friedmann einen Sessel, übergibt ihn dem Metzger, ergreift selbst zwei Exemplare und läuft damit die Treppen hinunter.
    Nur das Keuchen der beiden arbeitenden Männer ist zu hören. Und mit jedem Weg zurück hinauf auf den Dachboden und vorbei an der tatenlosen, immer noch wie angewurzelt neben der Dachbodentür stehenden Luise Friedmann bleibt dem Metzger mehr der Atem weg. Erst wie er das letzte Stück dieser einzigartigen Biedermeier-Esszimmergruppe, den kunstvollen Beistelltisch, hinunterträgt, folgt auch sie ihm zum Wagen.
    »Tut mir leid, was mit Ihrem Mann passiert ist!«, meint der Metzger, während er den Tisch in den vollen Laderaum hebt, in dem immer noch der Lederkoffer von August-David Friedmann steht. Luise Friedmann starrt niedergeschlagen auf den Koffer und quält sich sichtlich zur Äußerung: »Vielen Dank! Das war sein Tisch, ein Erbe, das bisher keiner gebraucht hat. Wenn Sie ihn nehmen, hat es wenigstens einen Sinn, dass das alles so lange da oben herumgestanden hat. Sie helfen uns sehr damit!« Eine Zärtlichkeit streicht über ihr Gesicht und verrät, wie schön diese Frau wohl einmal gewesen sein muss.
    Dann steigt der Metzger ein.
    Links der Hofeinfahrt lehnt ein junger Mann, den Hut tief in die Stirn gezogen, das Hemd weit aufgeknöpft, einen Fuß an der Hausmauer. Er kaut auf einem Zahnstocher, schnitzt mit einem Feitel ein Stück Holz zurecht und beobachtet das Geschehen ohne Regung.
    Es dauert einige Zeit, bis schließlich auch Sascha Friedmann mit einer Umhängtasche über der Schulter den Hirzinger-Hof verlässt. Erst da bewegt sich der Bursche neben dem Tor. Nur minimal. Er streckt kurz seinen Kopf nach vorn und platziert einen Speichelbatzen gezielt vor den Füßen des Vorbeigehenden, der das ohne Regung hinnimmt, in den Wagen steigt und losfährt.
    Der Metzger ist heilfroh, diesen düsteren Ort hinter sich zu lassen.
    »Wer war das?«
    »Mein Bruder.«
    »Ein Bruder, der Ihnen vor die Füße spuckt?«
    Langsam und gefasst sieht Sascha Friedmann zum Metzger hinüber: »Das war das letzte Mal!«
    35
    »L ETZTE M AL F USSREFLEXZONENMASSAGE war von eigene Oma vor Schwarz-Weiß-Fernsehen!«
    Jakob Förster knetet die Hornhaut ihrer großen Zehe, und nur weil die Djurkovic jetzt so lebhaft aus ihrer Kindheit erzählt, wird die Sohle auch nicht weicher.
    Sie ärgert sich. Jetzt hat es ohnedies ein Weilchen gedauert, bis es ihr endlich gelungen ist, sich zu entspannen und den Gedanken, hinter jeder Ecke könnte der Mörder lauern, in Zaum zu halten, und dann so was. Blöder geht es nicht! Da sitzt einem ein Halbgott zu Füßen, der sich ihnen intensiv mit seinen schlanken, öligen Fingern widmet, und erst danach marschiert man zur Pediküre.
    Was brauch ich danach noch Pediküre?, denkt sich die Djurkovic, ohne einen blassen Schimmer davon zu haben, was Herrn Jakob Förster schon alles an Füßen vors Gesicht gehalten wurde, ganz zu schweigen von unter die Nase, natürlich seine eigenen ziemlich abartigen Exemplare inbegriffen. Da ist der Arbeitsfuß der Djurkovic der Kategorie Aschenputtel weitaus näher.
    Unter der Bezeichnung Wellnessmusik mischen sich zu den schmatzenden Geräuschen der begnadeten Förster-Hände aus kleinen Boxen Streichinstrumenten-, flöten- und harfenähnliche Klänge, die außerhalb dieses Raumes allesamt eher an das Kreativprodukt des Vorschülers Konrad auf seinem noch schnell von Papa an der Supermarktkasse besorgten ersten Keyboard erinnern. Was Nachbarn keineswegs entspannt, wirkt hier in Harmonie mit dem plätschernden Tischbrunnen beruhigend und lockert die Muskeln.
    Auch die Zunge: »Jetzt müssen Sie mir aber

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