Der Metzger geht fremd
abgestem-pelten Marke erreicht hat, war die Todesanzeige seines Erzeugers. Keine der wenigen auf der Beerdigung anwesenden Personen war ihm bekannt, und genau da empfand der Willibald zum ersten Mal Mitleid, noch bevor er im Anschluss die heruntergekommene Behausung seines Vaters zu Gesicht bekommen hat. Das ist ihm also geblieben, dem einst so stolzen Familienoberhaupt, diese armselige Zweizimmerwohnung? Seinen eigenen Ratschlag »Wo man allein hinaufkann, von da sollte man auch wieder allein hinunterkönnen!« hatte er wohl selbst viel zu wörtlich genommen.
Nach dieser erschütternden Wohnungsbesichtigung zog es den Willibald noch einmal zum Friedhof zurück. Und genau in diesen kurzen befremdenden Minuten am Grab seines Vaters wurde ihm klar, er wird sich verbrennen lassen, und aus seiner mit bester Erde vermengten Asche muss ein Nussbaum wachsen, als Grundlage für prächtige Möbel, herzhafte Schnäpse oder von Eichkätzchen vertragene und wurzelschlagende Kerne.
Was der Metzger in Anbetracht der Klinge an seiner Halsschlagader ebenso mit Sicherheit weiß, ist: Wenn er sich den Ort seines finalen Abgangs aussuchen könnte, dann wäre der aber unter Garantie nicht auf einem Feldweg in einem heruntergekommenen Opel Kadett mit Heckspoiler. Niemals.
Nach dem ersten Schock ist beim Metzger nun Kampfgeist erwacht. »Was soll das? Ich hab Ihnen überhaupt nichts getan. Was wollen Sie also von mir?«
»Woher weißt du das alles, und wer weiß das noch?«, wiederholt Benedikt Friedmann seine Frage.
»Ist das so ein Geheimnis? Ein Stammbaum? Ich weiß nicht, wer noch alles diesen Stammbaum kennt, hoffentlieh die ganze Familie. Erstens war ich selbst in der Kuranstalt, kurz nach dem Tod Ihres Vaters, und zweitens hab ich es im Zuge meines Besuchs näher mit Ihrem wesentlich freundlicheren Bruder zu tun bekommen. Was ist so verwerflich daran, sich für seine Mitmenschen und ihre Geschichte zu interessieren?«
»Mit meinem Bruder hast du es zu tun bekommen?« Benedikt Friedmann wird deutlich aufmerksamer, seine Augen flackern, als hätte sich darin ein kleines Grablicht entzündet. Und genau das entgeht dem ebenso achtsamen Willibald nicht.
Immerhin war dieser jüngste Friedmann-Sohn in der Kuranstalt, was neben dem dort vor zwei Tagen geparkten Opel Kadett nun auch durch seine Bemerkung bestätigt worden ist. Und weil der Restaurator jetzt den Vorteil hat, von väterlichen Schreibversuchen, Briefumschlägen und Sonstigem ein wenig mehr zu wissen als dieser amoklaufende Bauernbub, riskiert er eine kleine sprachliche Ungenauigkeit. »Haben Sie denn Ihren Bruder nicht im Sonnenhof getroffen? Sie waren doch dort, um die Sachen Ihres Vaters zu holen, oder?«
Benedikt Friedmann schweigt. Und es ist kein Schweigen aus Ratlosigkeit, sondern eher ein strategisches: »Von welchem Bruder redest du da?«
Er hat ihn, wird dem Metzger klar. Er existiert also wirklich, dieser Brief von August-David an seinen ältesten Sohn Xaver. Warum sonst stellt Benedikt Friedmann die Kuranstalt betreffend diese Frage, wenn es nicht die Wahl zwischen zwei Brüdern gäbe: einem Xaver und einem Sascha?
Und weil dieses Schreiben ja wohl kaum der Abschiedsbrief eines Selbstmörders gewesen sein wird, wo August-David Friedmann offensichtlich gerade vorhatte, ein neues Leben zu beginnen, muss eine Form des Kontakts zwischen ihm und seinem verlorenen Sohn stattgefunden haben.
Was steht in diesem Brief?
Was kann so ein Schreiben mit einem Sohn anstellen?
Ihn zum Mörder machen?
Angenommen, Benedikt hat den Brief erst nach dem Tod seines Vaters beim Räumen des Zimmers entdeckt, dann kann das Geschriebene nur noch für Ferdinand Anzböck den Untergang bedeutet haben.
Was ist los in dieser Familie?
Dass jede Sippschaft ihre Leichen im Keller hat, das weiß der Willibald aus eigener Erfahrung, wobei er da, seine Herkunft betreffend, noch, bei Gott, nicht über alles im Bilde ist. Im Fall des Hirzinger-Friedmann-Stammes sind diese Leichen aber nicht nur echt, sondern bereits eine recht ansehnliche Kleingruppe.
»Von welchem Bruder redest du da?«, wird nun schon deutlich ungeduldiger die gestellte Frage wiederholt.
»Von Sascha natürlich! Von wem sonst?«
»Kümmer dich gefälligst um deine eigenen Angelegenheiten! Und hör auf, anderen Leuten nachzuspionieren. Vor allem, wenn sie so wie mein Vater…« Dann holt Benedikt Friedmann hörbar Luft und brüllt: »… tot sind!«
Dann wandert die Klinge auf Pupillenhöhe. »Sich in etwas
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