Der Metzger geht fremd
Buckel und so viele Freunde«, meint die Djurkovic schmunzelnd.
»Ja, wie Sie sehen, feiere ich gerade die Mitte meines Lebens, ohne zu wissen, wie lang es eigentlich noch geht.«
Wo gerade von Mitte die Rede ist, fällt der Djurkovic natürlich auf, dass da an der Pinnwand neben den Geburtstagsgrüßen noch zwei Plakate hängen, von denen das kleinere das größere darunter genau zur Hälfte verdeckt – nur der rechte Teil ist zu entziffern:
35er
ob Förster
oren
.1974
ng zum
erapeuten am
.2009
Als könnte er Gedanken lesen, zieht Jakob Förster den Reißnagel heraus und nimmt das kleinere Plakat, ein selbst gemaltes Exemplar, zur Hand: »Das müssen Sie sich anschauen!«
Recht gut gezeichnet, knetet da ein stattlicher Mann in weißer Tracht den Rücken einer nackt auf einem Massagetisch liegenden Frau, deren Schultern als Steine dargestellt wurden. Darunter steht: »Der Förster macht uns weich!«
»Das hab ich von einer Damengruppe bekommen, die sich hier zweimal im Jahr für eine Woche auf Erholung einquartiert. Nett, oder?«
Ja, nett, denkt sich die Djurkovic und will gar nicht wissen, was Jakob Förster da so alles durchgeknetet hat. Es gelingt ihr auch nicht wirklich, das Kunstwerk gebührend zu begutachten. Ihr hat es eher die Pinnwand angetan. Seit die Liebeserklärung der regelmäßigen Verehrerinnen abgenommen wurde, ist es vollständig freigelegt, das an eine Urkunde oder ein Diplom erinnernde Plakat darunter. Jetzt ist alles zu lesen:
Zum 35er
Xaver-Jakob Förster
geboren
1.4.1974
Krönung zum
König der Therapeuten am
12.4.2009
Gar nicht richtig zuhören kann sie ihm, während er erklärt: »Ach, auf das schauen Sie so angespannt. Das ist das Geburtstagsgeschenk vom Sonnenhof oder eigentlich von Professor Berthold. Die Beförderung zum Leiter dieser Abteilung.«
»Gratuliere!« Danjela Djurkovic schnappt sich die Schlüsselkarte. Sie muss schleunigst hier raus.
Es folgt ein kurzer Abschied, der den offenbar zum Plaudern aufgelegten Jakob Förster etwas überrascht.
Vergeblich versucht sie dann, den Metzger zu erreichen. Es läutet, nur abgehoben wird nicht, wie das halt grundsätzlich in Dringlichkeitsfällen so ist. Und Dringendes mitzuteilen hätte sie jetzt wirklich genug: Beispielsweise, dass »Jakob Förster« nur zwei Drittel vom Namen ihres Therapeuten ist, denn da gehört noch ein »Xaver« vorn dran. Xaver-Jakob Förster also, wobei der Vorname Xaver-Jakob wie geschaffen ist für ein darauf folgendes Friedmann. Noch dazu, wenn der Vater vor seinem Friedmann ein August-David mit sich herumschleppt und wenn im väterlichen Zimmer ein Brieffragment an einen verlorenen Sohn namens Xaver im Mistkübel liegt. Ganz abgesehen davon sind Vater und Sohn noch in ganz anderer Weise miteinander verbunden, denn das, was da in dem vom Metzger im Wald gefundenen Ring eingraviert ist, hat gravierende Konsequenzen.
August-David, 1.4.1974
Vorn der Vorname des Vaters, hinten das Geburtsdatum des Sohnes, was ja wohl nicht auch gleichzeitig der Hochzeitstag der Eltern sein wird.
Was der Metzger aufgrund der zehn Finger an Luises Hand längst weiß, weiß nun auch die Djurkovic: Dieser Ring gehört nie und nimmer der Friedmann-Witwe.
Am 1. April 1974 erblickte Xaver-Jakob das Licht der Welt, am Tag nach dem Tod seines Vaters purzelt der Ring ins Moos, als wäre er zurückgegeben worden, begleitet von einem herzzerreißenden Schrei.
Abrupt bleibt Danjela Djurkovic stehen. »Zurückgegeben? Hab ich Schlüssel gar nicht vergessen in Massagezimmer!«, wird ihr klar. »Hat mir Jakob Förster, der mir verpasst hat ein paar Nadeln wegen Tiefschlaf und Bademantel, gerade wieder zurückgegeben!«
Jetzt läuft sie, und der Metzger hebt nicht ab. Und schrecklich ist das, wenn es auf der Zunge brennt, wenn es etwas Bedeutsames mitzuteilen gibt und die betreffende Person unerreichbar ist.
Hektisch durchsucht die Danjela ihr Zimmer. Wenigstens ist ihre Befürchtung nicht eingetreten, dass etwas fehlen könnte, sie ist sich dennoch sicher: Er war hier.
Es gäbe also dringende Neuigkeiten zu vermelden.
Und sosehr es der Danjela widerstrebt, für sie bleibt nur noch eine einzige Möglichkeit: Jetzt glänzt die Djurkovic ja nicht unbedingt mit einer grammatikalisch sattelfesten Diktion. Im Vergleich zu ihren Schreibkünsten ist sie beim Sprechen allerdings auf Springreiterniveau.
Schlecht schreiben zu können und dann ungeübt mit winzigen Tasten in richtiger Reihenfolge die richtigen Buchstaben des
Weitere Kostenlose Bücher