Der Metzger geht fremd
gelacht haben sie trotzdem alle. Lustig war es da also beim Postwirt und der Friedmann-Auftritt die Krönung des Tages. Da konnte weder der legendäre Schweinsbraten dieser Gaststätte noch die pralle Kellnerin Renate mithalten, übrigens die einzige in der Gaststube anwesende Frau.
Sascha Friedmann allerdings blieb standhaft, ertrug die an ihn adressierten Schmähungen emotionslos an den Schanktisch gelehnt, als wäre er ein zum Inventar gehörender Stammgast. Lang dauerte es nicht, und statt des Stegreiftheaters setzte das beinah dem Textbuch der Postwirt-Standardsonntagsvorstellung folgende übliche Gemurmel ein.
Ein Weilchen hat der Tankwart den Spezialkunden aber schon noch wie einen Idioten an der Theke stehen lassen und sich derweilen um sein Bier und die pralle Kellnerin Renate gekümmert. Auch das kannte Sascha Friedmann zur Genüge: Männer, die in der Notlage anderer nur ihren eigenen Bedeutungszuwachs sehen und eine als Bittsteller auftretende Person so lange warten lassen, bis die eventuell erteilte Hilfeleistung auch die in ihren Augen adäquate Würdigung erfährt.
Immerhin musste Sascha Friedmann, verbunden mit seinem heimlichen Wechsel des Hauptwohnsitzes, seinem Wunsch nach einem eigenen Pass und seiner nunmehrigen Arbeitslosigkeit in der vergangenen Woche mehrmals den langen Weg in die Stadt und den noch längeren Leidensweg durch diverse Ämter zurücklegen. Da wird man geduldig. Und mit Geduld bekommt man selbst von einem überheblichen Vollkoffer, wie der Tankstellenpächter Karl Rohrbacher einer ist, seinen Diesel. Und weil Sascha Friedmann so brav dagestanden hat, ohne zu raunzen, hat sich Karl Rohrbacher auch noch ungebeten dazu herabgelassen, zum Wagen mitzugehen.
»No, lass schaun!«
Karl Rohrbacher füllt den Treibstoff in den Tank, während Sascha Friedmann am Boden liegt und darauf wartet, ob es aus dem Unterboden irgendwo wieder heraustropft.
»Und, olles trocken?«, fragt Karl Rohrbacher.
»Alles bestens!«
»No schau, i kenn mi hoit aus.«
Ja, den hat er ganz toll eingefüllt, den Diesel, der Karl Rohrbacher. Er kennt sich halt aus. Sascha Friedmann hingegen nicht: Sein Beifahrer fehlt.
Und nachdem Karl Rohrbacher schließlich im Anschluss an einige Minuten sinnlosen, schweigsamen Herumstehens endlich kapiert hat, dass das mit dem Trinkgeld für die professionelle Einfüllhilfe des überteuerten Diesels wohl nichts mehr wird, marschiert er wortlos mit dem Vorsatz davon, beim Postwirt lautstark zu verkünden: »Jetzt hob i der Rotzpipn am Sunntog net nur an Kanister voigmocht, sondern a no in Tank einiglad, und dann gibt ma der Knauserer net amoi a Trinkgöd!«
Trinkgeld wird Sascha Friedmann auch für die nächste Hilfe keines aufwenden müssen, die kommt zur Abwechslung von Herzen. Denn während er nervös beim Auto auf und ab marschiert, humpelt Maria Zellmoser auf ihn zu. »Suchst leicht den netten Herrn mit der Zahnlücke?«
»Hallo Zellmoserin! Hast ihn leicht gsehn?«
»Gsehn nicht direkt. Gsehn hab ich nur des Auto vom Benedikt. Und ghört, vor allem ghört, so schnell wie der weggfahrn is!«
Sascha Friedmann wird bleich. »Um Gottes willen!«
Eilig steigt er ins Auto. Auf der Beifahrerseite liegen beschmierte Zettel. Er hebt eine der Skizzen auf und kann es nicht fassen: Fragmente seines eigenen Stammbaums. Hat auch das mit Gottes Willen zu tun?
Dann fährt er los.
41
»W OHER WEISST DU DAS ALLES? «
Die Klinge des Feitels sitzt mittlerweile an der Halsschlagader, während dem Metzger der Hirzinger-Stammbaum knapp vors Gesicht gehalten wird. Die Nase auf Tuchfühlung mit dem Kreuzerl des August-David-Eintrags, dampft dem Metzger ein stechender Schweißgeruch aus dem geöffneten Hemd des jüngsten Friedmann-Sprösslings entgegen.
Grob und erbarmungslos wirkt der Bauernsohn, da nützt auch das ins borstige Brusthaar gebettete Schutzengelketterl mit dem rosa Gesichtchen auf blauem Hintergrund nichts. Unwirklich kommt ihm das alles vor, dem Metzger, die trostlose Umgebung und sein eigener Aufenthalt darin. Als hätte sich eine Schablone über sein Leben gezogen.
Seit er seinen Koffer gepackt hat und in diesen Zug gestiegen ist, fühlt er sich wie ein Fremder. Auf Reise gehen, und sei es nur für ein Wochenende, das braucht er nicht, der Willibald.
Sein letzter länger dauernder Ausflug war die Reise zum Begräbnis seines seit der Scheidung nicht mehr in der Stadt wohnhaften Vaters. Der einzige Brief, der den Metzger jemals mit einer in dieser Kleinstadt
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