Der Metzger geht fremd
Verkehr gezogen, Xaver-Jakob ebenso, in seinen Augen ist es mit der drohenden Gefahr vorbei. Und jetzt soll sie sich hier noch die restliche Woche entspannen, seine Danjela, auf Kosten ihrer Wohltäter und ganz zum Wohle ihrer Gesundheit. Für den Willibald wurde vorhin auf dem Zimmer ohnedies schon genug geredet: über diese Fotos, über Ferdinand Anzböck und seine Liebe zu Luise, über die beiden Kinder Xaver und Clara, die den Hirzinger-Hof verlassen haben, über Sascha Friedmann, der sich gerade heimlich sein neues Leben vorbereitet, und über den Ring, auf dem das Geburtsdatum von Xaver-Jakob Förster neben dem Namen seines Vaters steht.
So sitzen die beiden also an ihrem prunkvoll gedeckten Tisch vor ihren immer kälter werdenden Hauptgerichten, während der Willibald nahe daran ist, das vor sich hin schlummernde weiche Schweinsmedaillon ebenfalls zwecks Schlummer kurzfristig als Kopfkissen zu missbrauchen. Nervös nippt die Danjela an ihrem Glas und breitet Theorien und Erörterungen zum Attentat auf Jakob Förster aus, die in ihren Augen durchaus zu einem ertragreichen Ergebnis führen:
Ferdinand Anzböck trifft also nach Jahren abermals auf seinen Widersacher August-David, der in der Kuranstalt genauso verfährt wie einst am Hirzinger-Hof und ihm hinterfotzig die Frau ausspannt. Und obwohl Gertrude Leimböck, dieser blöde Trampel, wie Danjela Djurkovic vermerkt, garantiert kein Weib sei, für das es sich zu sterben, morden oder auch nur einen Finger zu krümmen lohne, bekommt August-David Friedmann für den bemitleidenswerten Ausritt seiner völlig vertrottelten Lenden diesmal von Ferdinand Anzböck die Rechnung präsentiert und muss mit dem Leben bezahlen.
Und weil sich Ferdinand Anzböck wohl niemals reuig selbst den Haien zum Fraß vorgeworfen hätte, wurde dieser notwendige Akt der Buße vom Angestellten der Kuranstalt Xaver-Jakob Förster durchgeführt, also dem verlorenen ältesten Friedmann-Sohn.
Die Djurkovic ist sich dabei sicher, dass ihr selbst durch den Therapeuten niemals ein Haar gekrümmt worden wäre, was immer er auch mit ihr hätte besprechen wollen. Was den Ring betrifft, meint sie, es könne nur eine Person geben, die sich zusätzlich zu dem Namen August-David auch noch das Geburtsdatum des dazugehörigen Sohnes hätte eingravieren lassen: nämlich die Mutter dieses Sohnes selbst, die aber deshalb noch lange nicht zwangsweise die Frau des Kindsvaters sein müsse, was bedeutet, dass ein goldener Ring nicht unbedingt ein Ehering zu sein habe, was weiters bedeutet, dass so eine ewige Geliebte, nach dem Tod des niemals geschiedenen Liebhabers, durchwegs imstande sein könne, sich den Finger bzuschneiden, vorausgesetzt, so ein Ring als verdammtes Dokument ewiger sinnloser Warterei gehe nicht mehr runter, obwohl er runtersolle.
»Sag ich dir, gibt es mehr depperte treue Geliebte, die auf versprochene Scheidung von verheiratete Mann warten, als treue Ehemänner!«
Selbst das in aller Öffentlichkeit durchgeführte Attentat des Benedikt auf seinen Bruder ist in ihren Augen einleuchtend, denn sofern man von Ferdinand Anzböcks Verstrickungen nichts gewusst habe, hätte man ja zwangsläufig denken müssen, Xaver sei der Mörder gewesen, und welches Kind übe dann nicht Rache?
»Aufgeklärt«, jubiliert Danjela freudig und klatscht in die Hände: »Und jetzt essen!«
Der Metzger lässt sich seine Zweifel nicht ansehen, wird aber mit dem Danjela-Lösungsansatz genauso wenig warm wie mit dem sich mittlerweile bedenklich der Zimmertemperatur annähernden Schweinsmedaillon.
Weshalb die Djurkovic energisch jenem Ober winkt, der die beiden edlen Stückchen vor dem Servieren am liebsten noch demutsvoll und mit beinah religiösem Fanatismus im Namen der hohen Kochkunst gesegnet hätte. An diesem Abend wird sich für jenen Serviceangestellten endgültig das Schicksal in Richtung einer eigenen Restauranteröffnung wenden. »Nie wieder Dilettanten bedienen; nie wieder das Wort Schnitzel hören müssen, vor allem wenn es sich um gar kein solches handelt; nie wieder Leberkäs- und Wurstsemmeltouristen ein Schul-terscherzel empfehlen und erleben, wie sie einem geistlos zugrinsen und auf den ausständigen Witz warten; nie wieder jemandem erklären müssen, dass scharf anbraten nichts mit aufreißen und abschleppen zu tun hat – nie wieder!«, flüstert er satt vor sich hin, wie er da mit den beiden Tellern in die Küche marschiert, begleitet vom schmerzhaften Nachklang dieser unfassbaren
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