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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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völlig überraschend mit ein paar zusätzlichen Stunden beschenkt. Die Verantwortung für seinen Zeitvorsprung trägt der Metzger indirekt selbst: Denn natürlich war es dem Willibald an diesem von Kaffee- und Semmelduft erfüllten Morgen wieder nicht gelungen, seinen Beschluss in die Tat umzusetzen und das Hackenberger-Frühstück ein für alle Mal sausen zu lassen.
    Was diese lästige Regina Hackenberger wohl in ihre sagenhafte Marillenmarmelade mischt.
    »Die schmeckt Ihnen, nicht?«
    »Die schmeckt mir schon!«
    »Mein ich ja, Sie haben ja fast das halbe Glaserl verputzt! Das freut mich aber!«
    Natürlich hat der Metzger im Anschluss ohne Murren drei Übernachtungen mit Frühstück bezahlt, sich für die freundliche Versorgung bedankt und umgehend abermals ein Lunchpaket bekommen, diesmal bestehend aus zwei fruchtig orange gefüllten Rexgläsern.
    Und weil Regina Hackenberger gerade so in Fahrt war, wollte sie wohl dem in ihrem Fall doch recht unnachsichtigen Metzger wahrscheinlich unbewusst gleich noch eine kleine Lektion mehr in puncto »Um das Gute im Menschen zu erkennen, muss man schon über dessen Macken hinwegsehen können!« verpassen: »Hubsi, du wolltest doch morgen früh in die Stadt, oder? Du fahrst ja eh so ungern weite Strecken allein, erledig das doch gleich heute, dann kannst den Herrn Metzger mitnehmen. Habt's beide was davon, nicht!«
    Ja, da haben ihm die Worte gefehlt, dem Willibald Adrian, auch weil die unbewusste kleine Lektion auf durchaus fruchtbaren Boden gestoßen ist. Eine halbe Stunde später sind sie schon im garagengepflegten Zweiergolf gesessen, er und der zum Hubsi verunstaltete Hubert Hackenberger.
    Die Worte fehlen ihm auch jetzt. Mitten in seiner Werkstatt.
    Völlig entblößt steht sie da, am hellen Steinboden, mit einer dermaßen überwältigenden Schönheit, einzigartig proportioniert und reizvoll, der Metzger kann gar nicht anders, als sich auf sie zu stürzen und ihr mit sanfter Berührung über die wohlgeformte Oberfläche zu streichen: die Biedermeier-Esszimmergruppe. Seine Biedermeier-Esszimmergruppe inklusive dem dazupassenden Beistelltischchen, auf dem ein beschriebener Zettel liegt.
    »VIEL FREUDE!«, heißt es da in fetten Blockbuchstaben, unterschrieben mit » SASCHA«. Darunter steht mit ziemlich unregelmäßigen Buchstaben kurz und nüchtern: » Zusanne auf Kurzurlaub, Edgar bei mir, am Abend gibt Krautwickel! Willkommen daheim. Gruß, Hausmeister!«
    Wahrscheinlich hat der Wollnar dem Friedmann beim Möbeltransport in die Werkstatt geholfen, wie auch immer die beiden aufeinandergetroffen sind. Im empfindsamen Metzger-Herz macht sich eine sonderbare Ergriffenheit breit. Von einer längeren Reise heimzukommen und die beiden Botschaften zu erhalten: »Da wartet und da freut sich jemand auf dich!«, wobei ja grundsätzlich das Warten nicht auch automatisch die Freude mit einschließt, das ist ihm das letzte Mal passiert, da hat er noch bei seiner Mutter gelebt.
    Und wie der Metzger dann auch noch die einzige Nachricht auf seinem Anrufbeantworter abhört und ihm die Stimme von Sascha Friedmann entgegenklingt, bewegt ihn das deutlich: »Hier Sascha Friedmann. Hoffe, dass Sie heil nach Hause gekommen sind. Ich hab Sie am Sonntag einfach nicht mehr gefunden und erst am Abend vom Kaiser-Bauern erfahren, was Schreckliches passiert ist. Mein Bruder ist übrigens bei Bewusstsein und wird die Sache Gott sei Dank überleben. Ich war heute schon bei ihm hier im Unfallspital. Die Möbel wollt ich Ihnen am Sonntag nach Hause bringen, aber Ihr Hausmeister hat gemeint, die Lieferung gehört in die Werkstatt. Hoffe, es passt so. Wir sehn uns sicher. Wiederhören!«
    Gerührt setzt sich der Metzger zum Biedermeier-Esstisch.
    Langsam zieht er die Lade heraus, legt sie behutsam auf den Boden, dann fährt er ohne weitere Vorsicht mit seinen Fingern unter den angehefteten Karton, der dieser erheblichen Dehnung natürlich nicht standhält – und wundert sich. Nichts!
    Alles, was da in diesem Geheimfach verborgen war, hat der Metzger schon in Händen gehalten. Läppische zwei Bilder. So ein Aufwand für zwei Fotos! Was um alles in der Welt muss diese Paula verbrochen haben, dass ihre vergilbte Ablichtung zwischen der Unterseite einer Tischplatte und einem angetackerten Karton aufbewahrt werden muss?
    Als ob es dazu einen Kommentar abgeben wollte, läutet das Friedmann-Handy: »Fehlst du mir jetzt schon!«
    »Danjela! Mein kleines Vögelchen. Hast ja gestern ordentlich was

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