Der Metzger geht fremd
vor ihm –, » … jetzt scher dich zum Teufel!«
Er reagiert zu spät. Die zweite Hand seines Bruders ist bereits aus der Hosentasche heraußen und könnte sich in Anbetracht seiner eigenen Ungläubigkeit sogar noch länger Zeit lassen. Er würde genauso verblüfft und tatenlos stehen bleiben.
Es sind schneidende Schmerzen, doch viel schlimmer als dieses Brennen ist die innere Leere. Sein eigener Bruder! Ohne die geringste Chance auf ein Gespräch. Nach all den Jahren! Wo kommt nur dieser unbändige Hass her, und warum soll er ein Bastard sein?
»Ich bin nicht hier, um jemand Vertrautem zu begegnen! Wenn, dann bin ich hier, um einen Fremden kennenzulernen!«, waren damals am Steg die an seinen Vater gerichteten Worte. Waren sie richtiger, als er jemals zu denken gewagt hätte?
Der Boden fängt ihn auf wie eine weiche Matte, und während alle Kräfte schwinden und eine erlösende Müdigkeit den Schmerz vergessen lässt, spielt sein Gedächtnis wie ein Tonband immer wieder die Antwort seines Vaters ab. Diesen einen letzten Satz, den sein Vater auf alle Ewigkeit mit ihm gesprochen hat: »Du bist auch hier, um dich selbst kennenzulernen!«
»Wer bin ich?«, geht es ihm durch den Kopf. Behutsam zeichnet sein Herz das Bild seiner geliebten Schwester.
»Clara!«, flüstert er sanft, dann holt ihn die Finsternis.
49
S O SCHNELL IST DE M ETZGER noch nie aus einem Auto gestiegen, zumindest freiwillig. Ausschlaggebend für diese Eile sind nicht nur die vor der Kuranstalt parkenden Polizeifahrzeuge und der lärmend abhebende Rettungshubschrauber, sondern auch der erstaunte Ausruf von Günther Kaiser: »Da steht ja der Kadett vom Benedikt Friedmann!«
Der Kaiser-Bauer lässt sich nicht aufhalten und stürmt ebenfalls in Richtung Foyer, was sich insofern als praktisch erweist, da der Metzger vor lauter Panik Anstalten macht, völlig die Fassung zu verlieren. Wie ein gehetztes Karnickel schlägt er von einer Person zur anderen nervös seine Haken: »Hat hier jemand Frau Danjela Djurko-vic gesehen? Wissen Sie, wo sich Frau Djurkovic aufhält?«
Mit der Frage: »Was ist hier passiert, für wen wurde ein Rettungshubschrauber benötigt?« wäre er garantiert schneller zu einer anderen Antwort gekommen als: »Keine Ahnung! Woher soll ich das wissen?«
Das wird vom Kaiser-Bauern erledigt. Richtig am Kragen packt er den sorgenvoll herumschießenden Willibald Adrian: »So, Herr Metzger, jetzt beruhigen Sie sich. Ich weiß inzwischen Genaueres. Der Benedikt Friedmann hat einen Jakob Förster niedergestochen!«
»Und wo ist die Danjela?«
»Das weiß ich nicht! Im Hubschrauber liegt jedenfalls dieser Förster!«
Nur unerheblich beruhigt mustert der Metzger die Gegend, schaut in jedes Gesicht, läuft durch die Menschenmenge ins überfüllte Foyer, sieht den in Handschellen ausdruckslos zwischen zwei Polizeibeamten stehenden Benedikt Friedmann, sieht einen blassen Professor Berthold, läuft in den dritten Stock, pocht an die Zimmertür, natürlich vergeblich, er hätte ja wetten können, dass die Danjela unter »folgen« wieder nur »dem Lockruf der eigenen Neugierde hörig sein« versteht, dann läuft er zurück in Richtung Rezeption. Günther Kaiser müht sich redlich ab, das überraschend hohe Tempo des eigentlich sichtlich untrainiert wirkenden Restaurators zu halten. Nichts! Keine Spur von seiner Danjela.
Und genau da liegt der Haken. Denn »seine« Danjela, oder das, was seiner Vorstellung von dieser ihm bisher bekannten Danjela entspricht, wird er hier auch nicht mehr zu sehen bekommen, der Willibald.
Völlig niedergeschlagen geht er zum Empfang, und noch bevor er auf Grußnähe an die Rezeptionistin Sandra herangekommen ist, hört er über die Lautsprecheranlage ein von den aufgeregt tratschenden Menschen unbeachtetes: »Ein Herr Metzger Willibald Adrian bitte zur Rezeption, ein Herr Metzger Willibald Adrian bitte zur Rezeption.«
»Das bin ich!«
»Na, Sie sind ja ein ganz ein Schneller!«, lautet ihre freundliche Begrüßung.
Der Metzger kommt gar nicht dazu, irgendwas erklären zu können, denn seine vergebliche Suchaktion erklärt sich von selbst: »So was passiert auch nur Mann. Wett ich, sind schon mehr Männer ohne Ahnung mit eigene Frau gegangen fremd als Frau mit Ahnung mit fremde Mann!«
Ganz sicher ist sich der Willibald jetzt nicht, ob es sich bei der an seiner Seite aufgetauchten Frau auch wirklich um Danjela Djurkovic handelt.
An den Fingern und Zehen schimmern perfekt gepflegte Nägel,
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