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Der Metzger geht fremd

Der Metzger geht fremd

Titel: Der Metzger geht fremd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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salzigen Tränen hier herinnen nicht zu sehen bekommt!
    Anton: Nein, es ist nicht nur so eine oberflächliche Traurigkeit. Es kommt eher von tief drinnen, und da heult man nicht mehr!
    Ernst: Also bitte: Lass hören!
    Anton: Ich muss seit Kurzem immer an unser Korallenriff denken. Erinnerst du dich?
    Ernst: In Anbetracht unseres derzeitigen Wohnzimmers hätte ich es gerne vergessen, das wäre bedeutend einfacher gewesen. Ich kann mich also leider sehr gut erinnern. Wieso?
    Anton: Seit wir den Glatzerten zerlegt haben und ihm dieses runde Glitzerteil aus der Hand gefallen ist, geht es mir einfach nicht mehr aus dem Kopf, das Meer. So Glitzersachen sind bei uns zu Hause auch immer herumgelegen. Weißt du noch? Schön war das, wenn sie unter Wasser in der Sonne geleuchtet haben! So schön war das – ach ja! Ernst, ich hab Heimweh.
    Ernst: Aber schau, die Glitzerteile hast du doch jetzt auch!
    Anton: Aber die Sonne nicht.
    Ernst: Stimmt. Die Sonne nicht!
    Anton: Was glaubst du, warum die Menschen so was Schönes bei uns im Wasser liegen lassen?
    Ernst: »Entweder ist es ihnen nicht wichtig, oder sie lassen sich bei der Suche nicht genug Zeit. Sie lassen sich grundsätzlich nicht genug Zeit. Bis auf diese Speckmade, die uns jetzt hoffentlich bald wieder besuchen kommt und sich in ihren Liegesessel hockt. Aber sonst? Sonst sitzt doch kaum jemand hier und schaut uns länger als für vier gemächliche Runden zu. Vier Runden, wo wir an einem Tag sicher viertausend schwimmen. Bin jedenfalls gespannt, ob der fette Happen hier wiederauftaucht.
    Anton: Auftauchen ist gut. Wenn wir endgültig auftauchen, ist das wohl dasselbe, wie wenn die Menschen endgültig untertauchen? Das ist in gewisser Weise auch eine Möglichkeit, nach Hause zu kommen.
    Ernst: Dir scheint es ja wirklich nicht sonderlich gut zu gehen.
    Anton: Und was das Glitzerteil betrifft. Was brauch ich Glitzerteile ohne Sonne. Ich brauch gar nichts mehr. Ich will nach Hause!
    Ernst: Wünschen nachzuhängen, die nicht erfüllbar sind, schlägt auf die Psyche, das sollte man sich besser ersparen. Nach Hause! Wie willst du das anstellen? Mit Bitte-bitte-Sagen und freundlichem Lächeln? Wir können übrigens gar nicht lächeln, mit unseren kalten Augen und dem nach unten gezogenen Maul.
    Anton: Wir können sehr wohl lächeln, jeder kann das, und immer sieht es anders aus. Die da draußen bemerken es nur nicht. Und übrigens: Wünschen kann ich mir, was ich will! Keinen geht das w…
    Ernst: Also, jetzt lass schon hören: Wie willst du das anstellen mit der Heimreise?
    Anton: Auftauchen beispielsweise, einfach durch die Abdeckung aus dem Becken springen. Glaub mir, das können nicht nur die Delphine, diese überschätzten Dauergrinser. Oder ich könnte einen Hungerstreik antreten, dann geschwächt für immer einschlafen und zu Hause aufwachen. Eine andere Möglichkeit wäre, ein paarmal mit Höchstgeschwindigkeit gegen die Scheibe zu donnern. Klatsch und aus! Ich könnte aber auch mehrere Methoden kombinieren! Beispielsweise hungern und anschließend gegen die Scheibe krachen, dann geht's noch schneller, oder …
    Ernst: Das klingt ja gar nicht gut! Anton, du brauchst wirklich einen Therapeuten!
    Anton: Ein Therapeut bringt mich auch nicht nach Hause. Der Einzige, der das kann, bin ich selbst. Irgendwann! Hier reicht's mir allmählich. Alles darf man sich wünschen!
    51
    B EDÄCHTIG ZIEHT DER M ETZGER den Rollladen hoch, als stünde ihm das lang ersehnte Wiedersehen mit einer alten Liebe bevor. Nur drei Tage Abwesenheit, und der Willibald fühlt sich, als sei er wochenlang fort gewesen.
    Mit jedem Zentimeter, den sich der Rollladen aufwärts bewegt, kommt mehr von der dahinter liegenden Eingangstür des Gewölbekellers zum Vorschein. Und weil dem Metzger neugierig die Sonne über die Schulter blinzelt, erhebt sich aus der Dunkelheit hinter der Glasscheibe zaghaft das Profil jener Landschaft, die der Restaurator als seine Werkstatt bezeichnet. Heimat ist dort, wo das Inventar eines Landes inklusive der dort angesiedelten Lebewesen noch ausreichend Profil besitzt, um in allem, was auf diesem Fleckchen Erde fühlen kann, ein kleines wärmendes Feuer zu entfachen. Da bleibt dem oft frierenden Willibald Adrian hierzulande zumeist ohnedies nichts anderes übrig, als sich in seine Werkstatt zurückzuziehen.
    Und die betritt er jetzt, erfüllt von Tatendrang, mit einem kindlichen Strahlen im Gesicht, gierig den heimeligen Duft einatmend. Immerhin wurde er an diesem Montag

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