Der Metzger holt den Teufel
suchst du den, wer bist du überhaupt?«
»Mein Name ist Metzger, und ich such ihn, weil ich mich bedanken möchte. Er hat etwas ziemlich Beachtliches gemacht. Etwas, das Rückgrat zeigt, und das soll er ruhig wissen. Ich denke, es würde ihn freuen.«
Stille, und es ist eine ganz ungute Stille.
Der Metzger sieht die Burschen an, jeden der Reihe nach, bei einem der Gesichter verharrt er ungewollt eine Spur länger, worauf abermals der Größte das Wort erhebt. Diesmal überschlägt sich seine Stimme: »Was glotzt du ihn so an?«
»Ich, ich, ich glotze nicht!«
Wutentbrannt haben sich nun beide Augen ein ausreichendes Blickfeld durch den haarigen Schleier verschafft. »Natürlich glotzt du. Ich erkenn das ganz genau, wenner angeglotzt wird. Und immer sind es Erwachsene, die glotzen, immer! Ich mach dich fertig!«
Und jetzt wird dem Metzger erstmals bewusst, wie blöd seine Idee war, sich hierherzusetzen. Nicht nur, dass die Burschen heutzutage anders miteinander spielen, sie sind auch andere Spiele gewohnt. Da ist so eine kleine Maschinengewehrsalve auf Level neun, mitten hinein in die davonlaufende Menge, nichts Besonderes. Wenn ein Junge einem Passanten einfach so das Sakko aus der Hand reißt, werden sein Freunde wohl auch einen etwas liberaleren Zugang zum Thema Moral pflegen. Obwohl, dieser beschützende Ausbruch mit krächzender Stimme imponiert ihm in moralischer Hinsicht jetzt schon.
Abermals ist sein Gegenüber am Wort und lässt keinen Zweifel daran, wer hier tatsächlich der Anführer ist: »Bennie, hör auf!« Und Bennie hört auf. Der Vorhang fällt, und zwei Augen verschwinden im Dunkeln.
»Du suchst also wen!«, setzt der Kleine fort. Irgendetwas scheint ihn zu beschäftigen, apathisch starrt er auf die Füße des Restaurators, von denen einer immer noch auf seinem Rollbrett steht. Ohne den Blick zu heben, erklärt er plötzlich in sehr bestimmendem Ton: »Stell dir vor, da bist du nicht der Einzige!«
»Wie meinst du das?«
»So, wie ich’s gesagt hab, mein ich das! Da war heut schon eine Frau da und hat nach ihm gefragt.«
»Ich weiß zwar nicht, warum auch noch eine Frau nach dem Burschen sucht, aber sollte der Junge, den ich sprechen möchte, auch euch abgehen, muss man Anzeige erstatten.« Und sie ist echt, die Besorgnis, die sich hörbar im Metzger breitmacht. Genauso echt wie das hämische Lachen auf der Gegenseite.
»Wen meist du mit ›man‹! Uns? Glaubst du wirklich, dass uns irgendeiner von euch Volljährigen ernst nimmt, von der Polizei ganz zu schweigen!«
»Seine Eltern müssen das natürlich machen.«
»Eltern? Sag, lebst du am Mond. Wer hat heute noch beide Eltern zu Hause herumsitzen? Und außerdem kann dir das alles völlig egal sein, bist ja hoffentlich schon ausgezogen. Erzähl uns lieber, warum du dich bedanken willst?«
»Weil er mir meine Geldbörse zurückgebracht hat, die …«, der Metzger hält kurz inne, steht sicherheitshalber auf und setzt fort: »… die mir abhandengekommen ist – und kein Cent hat gefehlt!«
Wieder stecken einige der Burschen die Köpfe zusammen, und wieder ist es die grüne Haube rechts außen: »Scheißkerl! Der lügt, hundertpro!«
Der kleine Dicke blickt kurz zurück, nickt langsam, wendet sich wieder dem Metzger zu und zischt: »Verdammter Lügner!«
Zielsicher spuckt er vor die Füße des Restaurators. Dann geht alles unglaublich schnell. Mit einer ungeahnten Wendigkeit tritt er vor, stößt den Metzger wuchtig zurück auf die Bank, kickt den Schlüsselbund in hohem Bogen ins Gebüsch und reißt das Skateboard an sich. Währenddessen haben der Grünhaarige und der Große namens Bennie jeweils ein Handy gezückt, der Anführer schickt einen schrillen Pfiff durch die Nacht, dann rollen sie davon. Alle, bis auf den einen, an dem kurz zuvor der Blick des Restaurators hängen geblieben war.
Ruhig steht er da, den Kopf leicht vorgeneigt, mit diesen unsagbar freundlichen Augen.
»Oskaaaaaar!«, dröhnt es durch die Nacht.
Langsam hebt er eine Hand zum Gruß, sagt höf lich: »Auf Wiedersehen, gute Nacht!« und folgt den anderen, ohne Eile, mit gemächlichen Bewegungen.
Es ist ihm schon einmal zu Ohren gekommen, dem Metzger: Sie seien stecken geblieben zwischen Himmel und Erde, als übervollkommener Mensch und unvollkommener Engel zugleich. Sie ist doch auch irgendwie gut, diese Welt, denn keiner der sechs davonratternden Burschen würde ihn jemals Mongo schimpfen, keiner.
Oskar dreht sich um und lächelt.
10
G ROSSMUTTER WAR
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