Der Metzger holt den Teufel
herumtreiben, deren größte Behinderung der Irrglaube ist, so etwas wie normal zu sein, sind jene Menschen, denen diese Behinderung fehlt, ausschließlich als Etiketten in öffentlichen Verkehrsmitteln oder als beschilderte Parkplätze vertreten: Integration hat eben nach wie vor Symbolcharakter. So macht der Metzger natürlich den üblichen Fehler: Er unterschätzt sein Gegenüber.
»Wie um Gottes willen hast du mich denn gefunden?«
»Metzger – Telefonbuch – Branchenverzeichnis – Telefonieren!«
Bei Telefonieren ist dem wohlwollenden Lächeln dann fast eine Spur Mitleid anzusehen.
»Und wie bist du hergekommen?«
»Präsidentenhubschrauber!«
Schön langsam begreift der Metzger, dass nicht nur das Rollbrett in der Hand seines Gegenübers als Transportmittel absolut ernst zu nehmen ist, sondern auch der Fahrer.
»Weiß deine Mutter, dass du hier bist?«
Oskar muss lachen. »Sehr lustig! Meine Mutter wohnt in ihrer Wohnung mit Hubert und ich in meiner mit Andrea, Roswitha, Markus und Jochen. Und einmal am Tag kommt die Sonja und hilft uns!«
Willibald Adrian Metzger ist ja ohnedies nicht hochbegabt, wenn es um Alterseinschätzungen geht, außer natürlich es handelt sich um ein Möbelstück oder einen Rotwein. Im Fall dieses lebensfrohen, kindlichen Gesichts tappt er aber völlig im Dunklen. Eines steht jedenfalls fest: Oskar ist kein Kind mehr.
»Was kann ich denn für dich tun?«
»Eichenholz, schön!«
Sein Besucher ist zielstrebig ins Innere der Werkstatt vorgedrungen und steht nun vor einer renovierungsbedürftigen Kommode. Vorsichtig legt er eine Hand auf die Oberfläche und spricht, eher zu sich: »Eiche: Geburtstag 21. März. Hartes Holz, starker Charakter, selbstsicher, tolerant, wohlwollend, strebt nach Unabhängigkeit, steht für Lebenskraft. Heiliger Baum. Schön.«
Dann scheint er Wurzeln zu schlagen, berührt sanft das betagte Möbelstück und schweigt. Wie eine Einheitsehen die beiden aus, und nichts dran wirkt gespielt. Eine derartige Natürlichkeit, wie sie von diesem Jungen ausgeht, hat der Metzger an einem Menschen noch selten beobachten dürfen. Oskar hat sich vorgeneigt und liegt mittlerweile mit seiner linken Wange auf der Kommode. Zu groß ist das Möbelstück, als dass aus den ausgebreiteten Armen eine Umarmung werden könnte.
»Ja, sag einmal, woher weißt du so viel über Eichenholz?«
Es dauert, bis Oskar sein Ritual beendet und sich aufgerichtet hat: »Ich arbeite bei Herrn Seipold in der Gärtnerei, aber hier ist auch alles sehr schön! Nur nicht das da!«
Oskar geht in den hinteren Bereich der Werkstatt, blickt den Metzger sehr verwundert an und streicht über die dürren Äste eines Bonsais: »Der ist schon im Paradies, muss man wegschmeißen!«
»Das Geschenk einer Kundin, was soll ich machen, hab mich redlich bemüht. So einen Baum muss man erst einmal durchbringen, da ist wahrscheinlich ein Säugling pflegeleichter. Aber was das Paradies betrifft, hast du recht: Diese Werkstatt ist tatsächlich mein Elysium. Der Bonsai ist somit schon daheim!«
Oskar lacht erneut.
»Also, was führt dich zu mir?«
»Philipp!«
»Wie bitte?«
Umgehend erfolgt mit fester Stimme die Antwort: »Philipp Konrad! Wegen dem warst du doch gestern beim Denkmal!«
Eine sonderbare Anspannung ergreift den Metzger: »Ist er wieder aufgetaucht?«
Oskar blickt zu Boden, irgendetwas dürfte ihn an dieser Frage irritieren. Immerhin wurde ja bisher von keinem behauptet, dass dieser kleine, magere Junge, der offenbar Philipp Konrad heißt, abgängig sei.
Nun muss eine bedeutsame Frage ja nicht zwangsweise beantwortet werden. Derart rhetorische Kniffe beherrscht bereits ein Dreijähriger. Um das zu kultivieren, muss man sich also wirklich nicht auf Staatskosten und Regierungsbänken den Allerwertesten wund hocken. Auch Oskar nutzt das ihm erteilte Wort einzig zur Verbreitung seiner persönlichen Botschaft: »Du hast von Philipp etwas zurückbekommen, hast du gesagt. Philipp gibt aber niemals etwas zurück. Schon gar nicht Geld!«
Erstaunt versucht es der Metzger mit der nächsten Frage: »Deswegen bist du hergekommen? Um mir das zu sagen?«
Und überraschenderweise erhält er eine noch erstaunlichere Erklärung: »Ja, weil das nicht gut ist, wenn man an Dinge glaubt, die nicht stimmen!«
Was für ein bedeutsamer Satz, geht es dem Metzger durch den Kopf. »Wie recht du hast. Wenn das also nicht gut ist, an Dinge zu glauben, die nicht stimmen, musst du mir aber auch erzählen, was mit
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