Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Hörweite hat sich die Sichtweite dazugesellt.
Und wieder ist er allein, der Metzger.
Diesmal allerdings wird seine Einsamkeit schamlos ausgenutzt. Er hat es die letzten Tage ja kommen gesehen. Zu zweit lässt es sich in ein ignorantes Gespräch flüchten, um so den Störenfried links liegenzulassen, aber allein ist man aufgeschmissen.
»Billiger, billiger.«
Mehrfach schüttelt er freundlich den Kopf, der Metzger.
»20 Euro, beste Qualität«, wird nachgesetzt, wird der Versuch unternommen, sich nicht im wahrsten Sinn des Wortes wieder in die Wüste schicken zu lassen.
»Vielen Dank.«
»15 Euro«, unterbietet sich der Verkäufer selbst. Was bei Auktionen aufwärts geht, geht hier abwärts. Etwa 22, 23 Jahre alt wird er sein, schätzt der Metzger, dunkel ist seine Haut, verschwitzt seine Stirn, offen sein Hemd, freundlich sein Blick.
»Letzte Angebot, 12 Euro, Freundschaftspreis«, dann folgt mit überraschend guter Deutschkenntnis die Aufforderung, zu fühlen, das Material zu berühren, und jetzt kann er nicht anders, der Metzger, zückt seine Geldbörse, nimmt aktiv Teil an dem hier stattfindenden regen Markttreiben. Von links nach rechts, rechts nach links schleppen sich im Laufe so eines Tages jede Menge Menschen aus aller Welt durch die Liegestuhlreihen:
drahtige dunkelhäutige Männer, die original Ray-Ban-Sonnenbrillen um den Sensationspreis von 20, Prada-Taschen, Verhandlungsbasis 50, und original Rolex-Uhren bis maximal 80 Euro anpreisen;
asiatische Damen, die Henna-Tattoos und Teil- bis Ganzkörpermassagen anbieten, wobei einigen männlichen Badegästen deutlich anzusehen ist, dass da durchknetungstechnisch sogar von ein bisserl mehr als von ganz geträumt wird;
asiatische Männer, die meterhohe, im Wind flatternde Ketten, bestehend aus bunten Drachen, hinter sich herziehen,
in lange Kleider gehüllte arabische, nicht immer großjährige Vertreter des männlichen Geschlechts, die barfuß in der prallen Hitze einen Berg Handtücher geschultert durch die Gästeschar schleppen.
Das ist eben der Unterschied: Daheim läuft man an Straßenhändlern vorbei, hier ist es umgekehrt und mit dem Davonlaufen vorbei. Und auch wenn er sich garantiert niemals massieren lässt, der zugegeben ziemlich verspannt im Liegestuhl sitzende Willibald, so hat er nun rein aus schlechtem Gewissen seiner bevorzugten Lebenssituation wegen 12 Euro inklusive 3 Euro Trinkgeld weniger in der Geldbörse, eine Kopfbedeckung auf seinem Haupt und eines mit Sicherheit: einen gewiss gerne wiederkehrenden Gast. Es soll dem Metzger nichts Schlechteres passieren.
Schön tief in die Stirn gezogen, wirkt er auf jeden Fall wunderbar verdunkelnd, der neue Sonnenhut.
Ein knapp 45-minütiges Dahindösen später weckt ihn ein vertrautes: »Gehst du ruhig vor zu Buffet, hol ich noch Tasche.« Von vertraut kann dann allerdings keine Rede sein, denn die Ankündigung gilt nicht ihm, sondern Frau Würtmann. Wortlos schnappt sich Danjela ihre Strandtasche und eilt erneut davon. Da dauert es natürlich nicht lange, und Willibald Adrian Metzger müht sich leicht unruhig in seinen braunen Lederschlapfen durch den heißen Sand hinterher, vorbei an der von Strohschirmen umgebenen Bar, vorbei an der Beachvolleyball-Anlage, vorbei an dem im Sand errichteten Kinderspielplatz und schließlich die paar Stufen hinauf. Wäre sein verblasstes weinrotes Poloshirt nicht bereits komplett durchnässt, er bekäme spätestens jetzt seinen Schweißausbruch.
Das tägliche Gemetzel ist in vollem Gange, und subtil ist er nicht, der Kampf um das im Freien aufgebaute Mittagsbuffet. Eifrig wird gerangelt, um den besten Platz, die schönste Aussicht, das größte Stück Fleisch, wobei es an Letzterem hier ohnedies nicht mangelt. Ein Königreich für Kannibalen, denn schlank ist er mehrheitlich nicht, der wohlernährte Mitteleuropäer, muss sich der Metzger durchaus mit Blick auf die eigene, unter dem Leibchen verborgene Speckschwarte eingestehen. Folglich frequentiert er einzig das Salatbuffet und peilt schließlich einen leeren Tisch an. Auch die mit Eva-Carola Würtmann nun eintreffende, ganz offenkundig frischgemachte Danjela hält diesbezüglich Ausschau. Da winkt ein einsames Männerherz noch eifrig, nehmen die beiden Damen schon Platz, und dem Metzger bleibt der Radicchio im Halse stecken: Hocken sich die zwei doch prompt woanders hin, lassen ihn sitzen wie einen Fremden, und es ist kein leerer Tisch. Zwei Herren mittleren Alters, beide schlank und braun
Weitere Kostenlose Bücher