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Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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gebrannt, einer klein und drahtig, der andere groß und schlaksig, wird also der Vorzug gegeben.
    »Setz dich her, Eva!«
    »Janz jenau. Hab ick dann wenigstens nich so ne langweilije Fratze vor mir, sondern ’n schönen Anblick. Ick bin der Rudi, det is der Justav.«
    Das sitzt! Die zurzeit als Entführerin, als gemeine Attentäterin, als Egoistin Abgestempelte wird dem ihr angedichteten ichsüchtigen Ruf gerecht, kommt nicht wie gewünscht mit gebeugtem Haupt angekrochen, sondern geht erhobenen Hauptes ihren eigenen Weg. Und schlecht ist das für jede selbstgefällige Ich-bin-das-Opfer-du-bist-der-Täter-Strategie.
    Nur ein einziges Mal innerhalb der nächsten 15 Minuten sieht seine Danjela zu ihm herüber, und es ist ein ernster, trauriger Blick, einer, der natürlich auch an so einem kleinen Zornbinkerl, wie der Metzger zurzeit einer ist, seine Spuren hinterlässt: »Eigentlich hat sie es ja gut gemeint, eigentlich will sie ja in Wahrheit immer nur das Beste, eigentlich, eigentlich … bin ich ein gewaltiger Esel.«
    Was also tun?
    A: Sich trotz der Anspannung dazusetzen,
    B: allein hocken bleiben, friedvoll, reumütig hinüberlächeln und hoffen, sie kommt doch noch, oder
    C: aufstehen und gehen.
    Der Metzger wählt die feigste der drei Varianten, sprich C, sucht Unterschlupf in Zimmer 102 und wartet auf die Ankunft seiner Gnädigsten. Aus dem Warten wird ein Hoffen, aus dem Hoffen ein ausgedehntes Mittagsschläfchen.
    Gegen 16:30 Uhr kriecht er wie wohl auch ein Großteil der einheimischen Bevölkerung aus den Federn und registriert: Danjela muss hier gewesen sein, denn ihr Sommerkleidchen, der Strohhut, die Handtasche und Ledersandalen fehlen. So ändert der Metzger seine Schlafposition von Doppelbett auf Einzelliege und begibt sich erneut an den Strand.
    Um 18 Uhr hält er es nicht mehr aus, wechselt mittlerweile äußerst nervös wieder zurück aufs Zimmer, wechselt dort den Stoff, sprich seine Adjustierung, widmet sich erneut seinem Stoffwechsel, sprich dem noch spärlich frequentierten kohlenhydratreichen Abendbuffet, registriert auch dort das Fehlen seiner Holden, wobei ihm abermals auffällt: Auch hier muss sie gewesen sein, zumindest laut den handschriftlich angefertigten Zetteln, die ihm mit grammatikalischer Eigenständigkeit von diversen Flächen entgegenlachen: »Entzückender Pekinese mit Zopf und rosa Schleife verschwunden, ist Name Tino, gibt Findelohn 300 Euro.«
    Die von ihrem Liebsten als Täterin Verurteilte macht ihrem Namen also alle Ehre und widmet sich guten Taten, im doppelten Sinn: Eva-Carola Würtmann bekommt Unterstützung und der Metzger Bewegung verabreicht.
    Um 19 Uhr zurrt er sich bereits mit großer Unruhe die ihm zum Reiseantritt überreichte Bauchtasche um die Hüften und begibt sich auf die Suche nach seiner Danjela, eine Litanei an Entschuldigungen, Absolutionsansuchen und Versprechungen auf Lager.
    Und die Lager bleiben voll. Sie bleiben voll während des ausgedehnten Rundgangs durchs Hotel, sie bleiben voll bei seinem ersten Ausflug hinaus, und sie bleiben wohl voll für den Rest des Abends, vermutet der Metzger mit einem Schlag. Denn die von ihm frequentierte, sich hauptsächlich zwischen Hotelanlagen durchschlängelnde Gasse mündet in eine wie aus dem Nichts aufgetauchte andere Welt. Eine Welt, in der ebenso wie in der Adria eines gewiss hervorragend funktioniert: das Untertauchen.
    Einen schlechteren Ort, um jemanden finden zu wollen, gibt es nicht.

Himmel und Hölle
    Gezeugt, ausgetragen und geboren zu werden ist das größte aller Wunder, er würde es auch heute noch als Geschenk bezeichnen.
    Durch wen er gezeugt, von wem er ausgetragen und an welchem Ort dieser Erde er geboren wurde aber, ist kein Geschenk, es ist ein Stigma, auf ewig eingebrannt in sein Fleisch und Blut. Wie ein Stempel. Es stempelt ihn ab, als etwas, nicht als jemand. Was splitternackt im Moment der Geburt von Natur aus gleichwertig erscheint, sich zwar in Hautfarbe, Gestalt, ja bis zur kleinsten Zelle unterscheidet, wird durch den Boden, auf dem es, und die Hände, in denen es landet, als noch unterschiedlicher oder gleicher, besser oder schlechter, mehr oder weniger bedeutsam, werter oder unwerter taxiert wie eine Ware – ohne noch den ersten Atemzug, den ersten Augenaufschlag getan zu haben.
    Das Leben beginnt mit einer Auslieferung. Nicht der Storch bringt ein Paket, das Leben selbst liefert sich aus, ist ausgeliefert, denjenigen, denen, und der Umgebung, der es geschenkt wurde, in

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