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Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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verdauen, essen, schwitzen, liegen, schauen, verdauen, zwischendurch schlafen, lesen, vielleicht ein bisserl planschen und Beine vertreten, dann aber wieder essen, schwitzen, liegen, schauen, verdauen und schlafen, wirkt zwar, als würde nichts geschehen, aber gerade diese Ereignislosigkeit legt eine derart hinterfotzige, verdeckte Beschleunigung an den Tag, da kann keine Amazonas-Kreuzfahrt, kein Mount-Everest-Massenaufstieg dieser Welt mithalten.
    So brachten die beiden Abreisenden also ihren Kreislauf in Schwung, bestiegen zuerst den Transfer zum Bahnhof, eine knappe Stunde später den Regionalzug. Ab jetzt hieß es, sich erneut der Willkür der Vergänglichkeit hinzugeben, zu akzeptieren, dass im Moment des Erlebens ein und dieselbe Zeitdauer vergehen kann entweder wie im Flug oder wie das Ermittlungsverfahren gegen hochrangige Staatsbedienstete.
    »Wird sich ziehen wie ein Strudelteig!«, stöhnte Danjela Djurkovic also am Beginn der mit dem Umstieg vom Regionalzug in den Nachtexpress verbundenen fast 90-minütigen Wartezeit und erhielt in gewisser Weise Worte des Trostes: »Strudelteig? Ehrlich gesagt, hab ich schon wieder gewaltigen Hunger.«
    So gönnten sich die beiden ein Schließfach und bekamen ihn zum Urlaubsabschluss doch noch, zumindest in Kurzfassung, den gemeinsamen Spaziergang durch die Stadt der Herzen, Brücken, Kirchen und Kanäle. Wobei, viele Brücken wurden es dann nicht, genau genommen nur die eine vom Bahnhof über den großen Kanal, zu groß war die Angst der beiden vor dem eher kleinen Zeitfenster, zu groß war Willibalds Angst, nach dieser durch ihn missglückten Woche sein aufloderndes Kulturinteresse zum Ausdruck zu bringen, zu groß war Danjelas Appetit. Ein paar romantische Schritte wurden zwar zurückgelegt, der Duft der Wasserstraße, die Stimmung der Stadt verinnerlicht, dann aber das erstbeste gemütlich wirkende Lokal frequentiert. Dort genehmigten sich die beiden ein laut Danjela bereits optisch schwer an die Heimat erinnerndes hiesiges Nationalgericht: »Sieht aus wie Haufen von Lipizzaner oder Fiaker!«, sprich: Profiteroles, und ja, nomen est omen, es gab tatsächlich jemanden, der davon profitierte. Kaum hatte sich Danjela während des Rückweges ihr reichlich mit Schokolade überzogenes Mundwerk gesäubert, brachte sie dieses auch schon voll Erstaunen mit Blick auf den Bahnhof zum Einsatz: »Willibald, schaust du, seh ich gerade bekanntes Gesicht!«
    Trotz der späten Stunde herrschte beim ersten Hinsehen auf dem Vorplatz und in der Halle ein reges Treiben. Beim zweiten Blick war es dann nur mehr ein Treiben, eigentlich ein Sich-treiben-Lassen, eines ohne Fahrkarte, ohne Ziel. Bahnhöfe sind wie eigene kleine osmotische Welten innerhalb eines Systems, abgeschlossene Zellen mit durchlässiger Membran, Orte der Einkehr, für den Beobachter auch der inneren, denn zu sehen gibt es genug: Menschen, die auf Reisen gehen oder vom Reisen kommen, manche von ihnen werden verabschiedet und empfangen; Menschen, die arbeiten und Geschäfte machen, manche von ihnen verkaufen dabei sich; und Menschen die sich nur unterstellen, als Zaungäste, keiner von ihnen wird verabschiedet oder empfangen.
    Letzteres betraf auch das erspähte bekannte Gesicht. Niemand sollte getroffen oder empfangen werden, das stand fest, maximal verabschiedet, und wie es aussah, betraf dieses Lebwohl gleich die ganze Stadt, vielleicht sogar das ganze Land. Mit dem Metzger und Danjela beinah Rücken an Rücken wurde ebenso einem Schließfach ein Koffer entnommen und schließlich ein Zug bestiegen. Was heißt ein Zug, der Zug muss es heißen.
    Umgehend griff Danjela, unter der dezent geäußerten Kritik ihres Willibald, zum Telefon, tat, was sie tun musste, schlug sozusagen Alarm, und betrat gefolgt von ihrem Herzblatt den Nachtexpress Richtung Heimat.
    Draußen zieht mit fast gespenstischer Leere die Dunkelheit vorbei, und einmal mehr weiß Willibald Adrian Metzger: Es hat einen Grund, warum ein Liege- nicht Schlafwagen heißt. Gewiss, er und seine Danjela besetzen beziehungsweise belegen, dem Zufall sei Dank, erneut ihr Abteil nur zu zweit, sind somit ungestört und keinen Fremdeinflüssen ausgesetzt, trotzdem bleibt der Wunsch, zu dieser später Stunde mit geschlossenen Augen gar keine Einflüsse mehr wahrnehmen zu müssen, bis dato unerfüllt. Auch Danjela sucht tapfer das erlösende Wegdösen durch Lesen eines Buches.
    »Redest du nix, schlaf ich gerade ein!«, erklärt sie, während die Lektüre auf ihre Brust

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