Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
noch als Dolly oder Frau Dottore Aurelia Cavalli. Alles wird gut.
Er glaubt daran, und es bleibt ihm nichts anderes übrig, auch wenn zurzeit alle besonders vorsichtig sind. Pepe wurde tot aufgefunden, aber dass Kollegen sterben, das kommt öfter vor. Sein Tod wundert ihn nicht mehr, er hat nicht nur Hüte verkauft. Eine Zeitlang war Pepe weg, seit kurzem ist er wieder da, jetzt ist er tot. Es geht rauh zu auf dieser Welt, auch hier.
Demba wird traurig sein, sie waren wie Brüder, haben einander geholfen, manchmal auch dafür gesorgt, dass es genug zu essen, genug Geld gab. Demba ist geschickt, flink, stark, unbändig in seiner Wut, seinem Willen, oft zu ungestüm. Bitterlich geweint hat er, wie er erfahren musste, von nun an allein zu sein. Kaum dass er ihm eines Abends aus einiger Entfernung Gustav gezeigt und erzählt hatte, es sei jener Mann, mit dem er fortfahren würde, war Demba verschwunden.
Auf offener Straße hat er Gustav die Geldbörse geraubt, aus Misstrauen, brüderlicher Sorge, vielleicht aber auch aus Eifersucht, hat sich der Gefahr ausgesetzt, hat die Geldtasche zu ihm gebracht, alles durchforstet, Führerschein, die Karten, einfach alles, nur um herauszufinden, wer Gustav Eichner ist. »Nein, ich bring ihm auch das Geld zurück! Wir sind Freunde, Demba, und er wird dir nicht böse sein, das versprech ich dir!«, hat er ihm gesagt und es genau so getan.
Gustav und Angela sind für ihn keine Fremden mehr.
Und wer ein Lügner ist, weiß man ohnedies nie.
Selbst der tiefste Blick von Angesicht zu Angesicht reicht nicht aus, um zu erkennen, was in der Tiefe schlummert.
Er hat die gütigsten Augen gesehen in den Köpfen der hintertriebensten Menschen.
Und er hat Hilfe bekommen von Händen, denen nur Gewalt zuzutrauen gewesen wäre.
Kein Mensch weiß, was in dem anderen steckt, egal, wie gut oder schlecht, lang oder kurz man einander kennt. Erst wenn es darauf ankommt, schält sich das wahre Ich aus dem Kostüm des täglich vorgespielten Theaters.
Hochsommer war es, wie er in seinem ersten Jahr im Süden dieses Landes als Erntearbeiter eine Anstellung fand. Schlechter Lohn, schlechte Unterkunft, schlechte Arbeitsbedingungen, aber eine Zukunft, eine Beschäftigung, einen Sinn. Den Tag für etwas zu verbringen ist erfüllender, als nur den Tag abzusitzen, wie einst in seiner Heimat. Anfangs war es ein friedliches Arbeiten, die Menschen hatten sich arrangiert mit den unmenschlichen Lebensbedingungen in den Notlagern, abgenutzten, leerstehenden Lagerhallen, in denen sie hundertfach Seite an Seite die Nächte verbrachten, aber es reichte aus, denn sie waren keine Gefangenen.
Dann kam der Tag, an dem ein Gerücht alles zerstörte. Jemand behauptete, dass jener verbrecherische, streng hierarchische Geheimbund, der diese Region, vielleicht das ganze Land beherrscht, Erntearbeiter zu kriminellen Aktionen missbrauche, Aktionen, die sich gegen die Einheimischen richten.
Keinen Tag später wurde untertags die leere Wohnung eines bereits seit Jahren hier in der Landwirtschaft beschäftigten afrikanischen Migranten ausgebrannt, ein Mann, der eine Frau und zwei Kinder hatte, Kinder, die hier zur Schule gingen. Völlig verstört suchte die Familie Unterschlupf unter ihresgleichen. Kurz darauf fielen Schüsse, aus rein rassistischen Antrieben, und er befand sich nicht in seiner Heimat, nicht in Zeiten der Apartheid, er befand sich am Fuß des europäischen Stiefels.
Ein Gerücht reichte aus, die bisher falsche Toleranz zu entlarven. Toleranz für offiziell unerlaubt Anwesende, die, untergebracht wie das Vieh der Bauern, dafür sorgen, dass die Wirtschaft einer an Jugend und Arbeitskräften mangelnden Region den gewünschten Ertrag bringt.
Wie gesagt: Erst wenn es darauf ankommt, schält sich das wahre Ich aus dem Kostüm des täglich vorgespielten Theaters.
Als Reaktion auf die ihnen plötzlich auch zwischenmenschlich entgegengebrachte Geringschätzung, den Hass, gingen sie, die Erntearbeiter, auf die Straße, er mitten unter ihnen, um gegen das Unrecht zu demonstrierten, gegen die Zustände, in denen sie leben mussten, denn wenn zur Armut auch noch die Verachtung dazukommt, wird die Last unerträglich.
Mit Gewalt kannte er sich aus. 82 Verletzte, drei Tote, fünf Busse, die sie wegbrachten, waren der Lohn. Busse, die nicht in den Süden, sondern den Norden fuhren, die im Landesinneren anhielten und ihre Insassen sich selbst überließen. Sie wurden nicht zurückgeschickt übers Meer, sie durften bleiben
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