Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
das Tempo.
Dann springt sie auf Rot, die Ampel. Der Wagen mit Angela biegt zwei Gassen weiter vorne bereits links ab, der Wagen von Herrn Schulze aber bleibt, sehr zum Ärgernis des Restaurators, stehen:
»Verdammt, wir verlieren sie!«
»Nein, Herr Metzger, so leid mir das auch tut, aber der Einzige, den wir jetzt verlieren, das sind Sie. Wie gesagt, ich werd Sie hier nicht hocken lassen. Tote gibt es bereits genug!«
Ein eiserner Griff umfasst ihn plötzlich im Bereich der Achselhöhlen, gepaart mit einem derart höllischen Schmerz, als wäre er von einem glühenden Schwert durchbohrt worden. Unfähig, auch nur eine erste Reaktion zu zeigen, beobachtet der Metzger, wie Heinzjürgen Schulze mit der linken Hand über ihn greift und die Tür öffnet. Er weiß, was kommen wird, genauso wie ihm völlig klar ist, nichts dagegen tun zu können. Viel Mühe muss Schulze nicht aufbringen, um seinem unerwünschten Beifahrer einen neuen Sitzplatz zukommen zu lassen.
Mit »Es tut mir leid, aber Sie haben hier jetzt nichts verloren!« schließt er die Tür und fährt davon, klarerweise bei Rot.
So viel zum Thema Menschenkenntnis.
Wie benommen müht sich der Metzger von der Straße hoch, um sich zumindest Richtung Gehsteigkante zu schleppen. Sein Ziel allerdings erreicht er nicht. Dafür ist das auf ihn zukommende Fahrzeug einfach zu schnell unterwegs.
Ohne auszuweichen, blenden ihn zwei Scheinwerfer.
Seit Danjela ihn nun kennt, war das der erste bei ihr eingehende Anruf, bei dem auch sein Name am Display aufleuchtete: Petar Wollnar.
»Was ist passiert?«, kam ihr sofort der Gedanke. Entsprechend besorgt schenkte sie ihm Gehör, und nichts von ihrer Sorge hat sich nun, nach Ende des Gesprächs, in Luft aufgelöst. Im Gegenteil.
Ebenso entsetzt zeigte sich, umgehend von Danjela informiert, auch Irene Moritz. Und weil Gerhard Kogler aus dem Spital heraus schlecht ein Kennzeichen ausfindig machen kann, bleibt ihr zurzeit nur eine Möglichkeit.
Poldi und der Deschek
Er wird ihn nie vergessen, der Metzger, auch nicht, wie ihm von seiner Mutter mittels eines irrtümlich zu hohen Waschganges bei lebendigem Leib der Pelz abgezogen wurde: Bo, sein grauer Langhaar-Teddy. Die Augen hat es ihm im Schleudergang aus seinem völlig aufgeweichten und aufgequollenen Schädel herausgerissen und in der rotierenden Trommel in feine Splitter zertrümmert, zwei Nähte am Körper sind geplatzt, das Obermaterial wurde abgestreift, wurde sozusagen zum flauschigen Overall, und an mehr wollte sich der kleine Willibald eigentlich gar nicht mehr erinnern müssen, zu grausam war der Schmerz. Nur ist das Nicht-erinnern-Wollen leider eine ganz schön haarige, fast unmögliche Angelegenheit,
Bo hat sich eingebrannt in sein Inneres als »Bo, der beste Freund«. Ja, der beste. War ja auch sonst keiner da. Schrullig, übergewichtig und hochintelligent, was für himmlische und angefütterte Beigaben braucht ein Knabe auch mehr, um sich bei seinen Mitschülern ein lebenslanges Brandzeichen abzuholen.
Poldi war Bos Nachfolger. Ein Maulwurf, gleich ohne Augen, wieder aus Stoff.
Und auch Poldi war immer da, konnte zuhören, konnte jederzeit in leichter Vorlage am Bett kauernd trotz fehlender Sehorgane seinen Besitzer anhimmeln, konnte sich anschreien lassen, ohne zurückzumaulen, gegen die Wand geklatscht werden, ohne zurückzuschlagen, war widerspruchslos für alles zu haben, überallhin zu bewegen und entsprach Willibalds kindlicher Vorstellung von Zueinander-Stehen. Zugegeben, der Metzger hat dann relativ lange gebraucht, um zur Einsicht zu gelangen: Stehen und Stofftier, das klappt nicht wirklich. Und so schön das alles auch sein mag mit einem knochenlosen Kuschelkurs, im Leben aus Fleisch und Blut sind die wahren Freunde nicht die Stofftiere, die ständigen Bewunderer und stillen Befehlsempfänger, sondern die, die keine Scheu haben, grundehrlich ihr eigenständiges Profil zu zeigen, und erst dadurch einen Abdruck hinterlassen. Einen behutsameren natürlich als den einer von zwei näher kommenden Xenonscheinwerfern begrenzten Motorhaube.
Regungslos blickt der Restaurator zuerst ins Licht, dann auf die Motorhaube eines Cabrios.
»Bo!«, flüstert er.
»Einsteigen«, ist die Antwort.
Er ist zu keiner Widerrede imstande, der Metzger. Verblüfft nimmt er Platz, spürt den Fahrtwind durch sein Haar wirbeln, spürt, wie es ihn in den Ledersitz presst, greift nach der das Lenkrad umklammernden Hand neben sich und spürt es für einen Moment in seiner
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