Der Metzger sieht rot
genau darum in dieser oder eigentlich in jeder Sportart? Hast du jetzt den Moralischen, nur weil der Verein, von dem du ein Leiberl daheim hast – du hast doch garantiert ein Leiberl daheim, da trau ich mich wetten –, nicht einen Goldesel als Präsidenten hat, sondern einen Brauereibesitzer oder einen Herrenausstatter? Neidig bist du, Pospischill, wie ein kleiner Junge auf das neue Rad vom Nachbarsbuben.“
Dann knallt der Metzger die Tür zum Badezimmer zu, reibt sich mit einem kalten Waschlappen die verschwitzte Stirn ab, setzt sich zwischen seine Pflanzen und wartet auf das Signal seines digitalen Fiebermessers: 38,5 Grad. Genau das hat er jetzt gebraucht, den Pospischill mit seiner Eifersucht und eine Temperatur, bei der ihm das letzte Mal noch seine Mutter eine Schwitzkur verpasst hat. Das müssen sicher schon 30 Jahre her sein, rechnet der Willibald und wird mit einem Schlag von einer Rührseligkeit gepackt, da hilft ihm auch der kalte Waschlappen nichts. Die Verstorbenen suchen sich die unpassendsten Momente, um ihr Recht auf das Nicht-Vergessenwerden einzufordern. Ein Funke Erinnerung reicht da schon aus, und jede „Ich-bin-drüber-hinweg“-Gewissheit entblößt sich als sentimentaler Irrtum.
So allein wie jetzt, im Bad, mit seinem Fieber, seinem Ärger und seiner Zwiebelfahne hat sich der Metzger schon lang nicht mehr gefühlt, da ist der schweigsam im Wohnzimmer hockende Pospischill auch kein Trost.
Da Willibalds Temperatur nun auch Herr über die Psyche geworden ist, schleicht ein inzwischen auch seelisch ermatteter Metzger zurück ins Wohnzimmer und wirft dem sorgenvoll dreinblickenden Pospischill ein versucht freundliches „Ich glaub, heut bin ich kein guter Gesprächspartner!“ entgegen, sozusagen als halbherzige Entschuldigung, die vom Kommissar erleichtert angenommen wird:
„Ich versteh dich ja, ist kein Honiglecken so eine handfeste Verkühlung. Ich werd dich jetzt allein lassen, Willibald, wenn du was brauchst, sag es mir, auch wenn es dir besser geht, dann kannst du mir in Ruhe erzählen, wie du das erlebt hast vorgestern. Bist ja wie gesagt quasi ein Zeuge!“
Dann geht er, der Eduard, und irgendwie merkt der Metzger, dass dieses zerfurchte, vom Beruf geformte Gesicht eine Sanftheit zusammenbringt, als könnte ein Abstürzender im Zentralalpenmassiv doch noch eine weiche Landung hinbekommen.
Weich landet der Willibald dann in seinem Bett, erfüllt mit einer Unruhe und einem unbändigen Durst, schlürft an seinem mit Honig erträglich gemachten Lindenblütentee und glaubt sich bereits am Beginn eines erholsamen Schläfchens.
9
Eine Viertelstunde Schlaf kann im Büro erholsam sein, während einer Regierungssitzung, einer Wählerstromanalyse oder einer Familienjause, nicht aber im Abwehrkampf gegen hartnäckige Viren, obwohl der Grund des abermals unfreiwilligen Erwachens einzig von dem Bestreben nach fürsorglicher Unterstützung dieses Abwehrkampfes herrührt. Danjela Djurkovic kündigt nämlich am Telefon wieder auffallend kurz angebunden einen ebenso kurzen Besuch an. Sie sei unterwegs und schaue schnell vorbei, um dem Willibald ein Wundermittel zu bringen.
Jetzt ist das grundsätzlich nicht ihre Art, uneingeladen zum Metzger nachhause zu kommen, wobei ein spontanes Gastspiel in seiner Werkstatt des Öfteren schon vorgekommen ist, ein Besuch in der Wohnung allerdings bedurfte bis jetzt immer einer offiziellen Einladung, durchzogen von allen erdenklich höflichen Förmlichkeiten. Die Vorstellung, dass nun eine Frau, geschweige denn seine geliebte Danjela, die Wohnung unaufgeräumt, schlecht gelüftet und nicht liebevoll dekoriert zu Gesicht bekommen könnte, erzeugt im Metzger Stresszustände der anderen Art, da hätte sie besser gar nicht angerufen. Dabei weiß er nicht, dass dieser Anruf erst getätigt wurde, nachdem die Djurkovic bereits ihr altes, schepperndes, selbst rot-schwarz lackiertes Waffenrad in Willibalds Stiegenhaus geschoben hat, soviel zu den Schattenseiten von Mobiltelefonie, und was noch viel schlimmer ist, die Djurkovic gerade beim Betreten dieses Stiegenhauses nicht allein war. Und während der Metzger seine bereits vom Lindenblütentee geförderte Transpiration durch hektisches Herumräumen noch erheblich ankurbelt, klingelt es schon an der Tür. Der Metzger reißt noch schnell die Fenster auf, reißt sein Zwiebelsackerl herunter, reißt sich zusammen und öffnet.
Vor ihm steht eine bemüht distanzierte, eher ernste Danjela, auf dem Kopf einen bunten Radhelm,
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