Der Metzger sieht rot
als wüsste sie sehr viel, ohne jemals beim Metzger geputzt zu haben. In dem regt sich mehr und mehr das Bestreben, seine Danjela am Arm zu packen, zu sich hereinzuziehen und die Tür zuzuknallen, damit hier endlich einmal klar ist, wer zu wem gehört. Nur für solche Handlungen ist der Metzger viel zu erwachsen, schade, denn der Djurkovic würde es bestimmt gefallen. Auf jeden Fall besser als die Alternativreaktion:
„Na, dann geh ich jetzt wieder ins Bett, vielen Dank für das Medikament!“, kommt es dem Willibald gedämpft über die Lippen, während die Vymetal immer größer und die Danjela immer kleiner wird.
Dermaßen heftig sind die Wellen der Antipathie, die da zwischen dem Metzger und der Djurkovic-Freundin hin und her schwappen, da würde jetzt ohnedies jedes nette Wort untergehen wie ein stummes „h“.
Ein „Wenn du brauchst was, rufst du an!“ ist der Djurkovic beim Umdrehen noch ausgekommen, der Vymetal ist gar nichts mehr ausgekommen, und dem Metzger, dem ist unabsichtlich die Tür ausgekommen, gefolgt von einem heftigen Kracher. Und während er ein wenig betäubt im Vorzimmer stehen bleibt, sieht er ein, wie unsäglich herz- und geistlos sein Verhalten gegenüber Danjela Djurkovic gerade war, denn nichts wäre dem Willibald im Augenblick lieber als ihre fürsorgliche Anwesenheit mitten in seinem unaufgeräumten Wohnzimmer und sein Zweitschlüssel an ihrem Schlüsselbund. Von starker Wehmut und abermals einer gehörigen Portion Schuldgefühlen geplagt, schleppt sich der Metzger zurück in sein Bett, wirft einen liebevollen Blick auf die Wunderkügelchen in seiner Hand, Aconitum napellus D30 Globuli, lässt die ersten fünf auf seiner Zunge zergehen, während die aufkeimende widerwärtige geistige Gegenwart dieser entsetzlichen Zusanne Vymetal jeglichen weiteren Gedanken an die Danjela und ihre gute Absicht verunmöglicht. An diese Gegenwart wird er sich aber noch gewöhnen müssen, der Willibald, das wird nämlich sein einziger Rettungsanker.
Dann schläft er ein.
10
Schlaf ist für sie ein Bedürfnis geworden, dem sie vorwiegend am Tag Folge leistet, zwischen fünf Uhr morgens und zwölf Uhr mittags. Die Nacht ist ihre Spielwiese, ihre Manege, da ist sie die Akrobatin, der Clown und die Dompteuse zugleich. Nein, Tiere hat sie keine abgerichtet, obwohl in ihrer Wahrnehmung Männer nichts anderes sind.
Die springen genauso durch Reifen, lassen sich bereitwillig die Peitsche überziehen, die absurdesten Kostüme und schließlich die dünne Latextrennschicht, dank der keiner von ihnen jemals bis zu ihrer Seele kommen wird. Alles andere ist belanglos, nur Mittel zum Zweck. Im Grunde Vergnügen.
Kein körperliches Vergnügen natürlich, vielmehr ein psychisches. Es erscheint ihr, als wäre sie selbst Schauspielerin und Zuschauerin zugleich.
Während sich Männer an ihr bedienen, sich mit jedem Augenblick ihrer gespielten Hingabe mehr und mehr selbst erniedrigen, ergötzt sie sich an deren Erbärmlichkeit. Diesen zutiefst verabscheuungswürdigen, unappetitlichen Fleischbergen gewährt sie die Berührung ihres perfekten Körpers nur, um den Triumph des Davor und vor allem des Danach auszukosten. Das Davor geprägt von dieser armseligen Gier, von hirnloser, untertäniger Lust, das Danach dominiert von diesem jämmerlichen Verlangen nach Absolution. Nur genau die enthält sie ihnen vor.
Der kurzfristigen Entladung soll mit aller Wucht ein mieses Gefühl folgen, ein Absturz in Tiefen, wo die Nähe zum letzten Funken schlechten Gewissens doch eine kleine Gemütsverbrennung hervorruft. Ihre Befriedigung beginnt mit der sichtbaren Niedergeschlagenheit der Kunden, denn keiner kommt hierher und erzählt davon zuhause, keiner. Die verschwindend geringe Zahl der Einsamen hat ohnedies niemanden, der im Wohnzimmer sitzt und wartet, und alle anderen bringen eine Lüge mit nachhause.
Dass ihr Bruder, bevor er ausgeblutet auf dem Spielplatz gefunden wurde, sich um nichts mehr sorgte als um ihre Zukunft und mit allen Mittel verhindern wollte, dass sie genau da landet, wo sie nun ihre Erdung gefunden hat, versetzt sie gelegentlich in einen Zustand zwischen Trauer und Selbstanklagen. Sie hätte etwas Besseres verdient, das waren damals und wären heute die Worte ihres Bruders, ihres toten Bruders. Und genau dieses Wissen um seinen Tod ist dann immer ihre Rettung. Erst sein Verlust war der Wegweiser zur augenblicklichen Position. Was nützen also die Vorwürfe, ganz abgesehen davon gibt es in ihrer Vorstellung
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