Der Metzger sieht rot
momentan gar keine bessere Lebensaufgabe als die jetzige. Noch nie war ihr in ihrem Leben so wenig nach Aufgeben zumute gewesen wie jetzt.
Selbst jener mitleidige Befund der Gesellschaft, ihren Beruf betreffend, das Herabblicken als wäre sie Abschaum, das große Bedauern gegenüber dem Scheitern einer Existenz, kostet sie ein Lächeln. Sie ist alles andere als gescheitert, auf der Straße schauen ihr untertags die Männer nach, zum Glück ohne zu wissen, dass sie sie theoretisch auch haben könnten. Frauen werfen ihr den hasserfüllten „Wie macht sie das, welche Diät hat sie, wo kauft sie ein, warum sie und ich nicht?“-Blick zu, und sie selbst kann nicht umhin, beim Vorbeigehen in Anbetracht ihres Spiegelbilds stolz den Schritt entlang großer Auslagenfenster zu verlangsamen. Das Scheitern des Menschen als Einzelschicksal ist nur die Ursache fehlender Konsequenz. Ihr braucht kein Psychologe kommen und vom Ledersessel aus eine Analyse über ihr Leben starten. Darauf kann sie gut und gerne verzichten, da braucht sie keinen akademischen Blick in ihre Kindheit, um zu wissen, warum sie hier gelandet ist, keine Familienaufstellung und keine Polsterschlacht zwecks Abreagierens. Kein Kissen wird jemals reichen, um aus ihrem Inneren ihren Vater hinauszubekommen, die Erinnerung lässt sich nicht killen mit überzogenem Schaumstoff. Die beste Therapie ist und bleibt, die Männer zurückzuvergewaltigen, langsam und effektiv, ohne dass diese es bemerken. Und ab und zu ein kleiner von ihr verursachter Tod, auch das tut gut, ganz ohne moralische Bedenken, dafür eignet sich überzogener Schaumstoff übrigens hervorragend. Für sie gibt es nichts Richtigeres als einen toten Mann, noch besser einen schwarzen toten Mann. Und diese Höhepunkte ihrer Befriedungen hält sie eigentlich rar, ganz selten nur darf so eine Belohnung geschehen, denn nichts wäre schlimmer als ein Bedeutungsverlust durch zu häufigen Konsum.
Gibt es allerdings neben den angenehmen Nebenwirkungen einer Tötung auch noch einen sadistischen Plan inklusive einer anständigen materiellen Anerkennung, ist gegen etwas häufigeren Konsum nichts einzuwenden. Und Kwabena Owuso hat sich wahrlich ausgezahlt. Für so ein Gemälde werden heute Unsummen bezahlt.
Sogar dieser schön sprechende Proletenwirt mit seinen dunklen Augen, eine Woche vor der Owuso-Hinrichtung, hat sich ausgezahlt, obwohl sie ihn gar nicht beseitigen musste. Nur zum Schlafen musste sie ihn bringen, und nichts ist leichter, als einem Mann die Lider schwer zu machen. Das folgt, nachdem sie ihre Dienste in Anspruch genommen haben, ohnedies zwangsweise. Nur, die wenigstens können sich bei ihrem Stundensatz dieses Nickerchen auch wirklich leisten. Es sei denn, sie sind eingeladen, so wie er. Eingeladen um des Nickerchens willen.
Tief hat er geschlafen, der Proletenwirt. In aller Ruhe konnte sie die Abdrücke seiner Schlüssel anfertigen, nur um aus dieser Auswahl den einen herausfinden. Den, der ihr Zugang verschafft zur tödlichen Substanz, der für viele das Schicksal besiegelt und ihr so ungeahnte Türen öffnet.
Was für leicht verdientes Geld.
Auch die nächste Angelegenheit würde sich im finanziellen Sinn wirklich lohnen, wäre da nicht ihr Gewissen. Noch nie hat sie eine Frau getötet.
11
„Schlaf ist die beste Medizin“, hat seine Mutter immer gemeint. Keine Frage, dass der Willibald nie ins Bett wollte, schon gar nicht, wenn er ohnedies den ganzen Tag liegen musste.
Wie der Metzger aber an diesem späten Nachmittag zum ersten Mal ohne unerwünschten Besuch aufwacht, reichen seine Kräfte gerade aus, um die Zwiebel- und Topfenmunition in den dafür vorgesehenen Stoffteilen zu erneuern, getrocknete wanderfreudige Klümpchen aus diversen nicht dafür vorgesehenen Stoffteilen und Hautritzen herauszubeuteln, zu kletzeln und zu wischen, weitere Globuli einzuwerfen samt den restlichen aufgekochten Hühnersuppenwürfeln und um mit einem kräftigen Schluck Rotwein wieder zurückzukehren ins gar nicht nobel duftende Schlafgemach.
Kein Djurkovic-Anruf, fix hatte er damit gerechnet, aber da kommt kein Ton aus dem Festnetzanschluss im Wohnzimmer.
Auch während des nächsten, zum WC-Besuch genutzten Erwachens kein Telefon. 22 Uhr, der Metzger greift zum Hörer, etwas besorgt, ob sich nicht doch ein hartnäckiger Ärger bei der Djurkovic eingeschlichen hat. Das Klingelgeräusch wird aber diesmal durch kein erlösendes „Hallo“ unterbrochen. „Hallo“, sagt sie immer, die Danjela. Das
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