Der Metzger sieht rot
„l“ als verräterischer Zeuge ihrer Herkunft, so verräterisch, dass der unerfahrene Anrufer geneigt ist, in dieses kindliche, die Gesetzmäßigkeiten der Grammatik ignorierende „Tschuschendeutsch“, wie Willibalds Vater diesen Jargon bezeichnete, zu verfallen. Mehr Verachtung kann ein Einheimischer seinem sprachlich ungeübten Gegenüber gar nicht entgegenbringen, als ihm ein dermaßen falsches Deutsch zu kredenzen. Dem Eingereisten bleibt gar nichts anderes übrig, als sich das wichtigste Mittel zum Anschluss, zur Adaption, zwangsweise falsch anzueignen, somit erlernt er die Sprache nie, auch wenn er will. Und dem Einheimischen bleibt in Gegenwart des kommunikativ minderbemittelten Einwanderers bei Spontananwendung der geläufigen Umgangssprache das faschistische Vergnügen, diesem ständig verdeutlichen zu können: Du bist und wirst keiner von uns, niemals.
„Hallo“, sagt sie also immer, die Danjela. Nur heute nicht mehr. Das wird sie auch die nächsten Tage nicht mehr sagen, der Metzger weiß das nur noch nicht, wie er am nächsten Morgen, erheblich gesünder, erneut zum Hörer greift.
Während der Willibald nun seine Globuli mit einem flüsternden Mitzählen in die Hand purzeln lässt, beginnt der Tag abermals mit einem Läuten an seiner Tür, diesmal nicht Sturm, sondern eher ein dezentes Lüftchen.
Wieder der Pospischill, diesmal nicht mit überzogenem Humor, sondern mit sorgenvoller Miene.
„Na, heute schaust aber du gar nicht gut aus!“, begrüßt ihn der Metzger, immer noch im Vorraum stehend.
Wieder steuert der Pospischill mit Straßenschuhen zielstrebig das Chesterfieldsofa im Wohnzimmer an, ohne ein „Guten Morgen“ oder einen kurzen Scherz, und nimmt dort Platz. Die Ellenbogen aufgestützt auf den Knien, halten seine Hände einen blassen Kopf, da hatte der Willibald am Tag zuvor richtig Farbe im Gesicht.
Zögernd beginnt er:
„Wir haben heute Morgen die Danjela gefunden, Willibald.“
Pause.
Der Metzger stellt stumm, nur mit einem fragenden Blick, ein „und“ in den Raum, worauf der Pospischill langsam wieder seine Stimme findet und fortsetzt:
„Das war kein schöner Anblick! Vorm Stadion ist sie gelegen, sicher schon einige Zeit, bevor uns ein Fußgänger angerufen hat. Mehrmals wurde auf sie eingeprügelt, mit einem Holzprügel, wahrscheinlich sogar einem Baseballschläger, zu ihrem großen Glück hatte sie einen Radhelm auf. Prellungen am ganzen Körper, die Ärzte meinen, ob und welche Schäden bleiben, weiß man erst, wenn sie aus dem Koma aufwacht. Es tut mir so leid!“
Noch längere Pause, den Pospischill plagt jede Lippenbewegung:
„Sie liegt im UKH, Intensivstation, nur Angehörige dürfen hin. Das bist du, Willibald. Hab dort deinen Namen angegeben! Wir haben noch keine Spur, wissen noch gar nichts!“
Der Metzger bringt kein Wort, keine Regung mehr zusammen. Erst nachdem der sich bereits wieder im Aufbruch befindende Pospischill mit einem viel sagenden Griff auf Willibalds Schulter und den Sätzen „Ich muss jetzt leider wieder gehn, bin unpassenderweise sehr in Eile! Die Schule haben wir schon informiert, das brauchst du nicht mehr machen, aber bevor ich’s vergess, ich leg dir ihren Wohnungsschlüssel da her, du weißt schon! Und bitte, ruf an, wenn du mich brauchst, du was wissen willst, jederzeit!“ die Wohnung verlassen hat, sinkt der Metzger langsam auf die auf dem Vorzimmerteppich verstreuten Globuli, während sein Blick starr am Vorzimmertischchen verharrt, auf dessen Nussholzplatte nun neben einem Metzger-Zweitschlüssel ein heimatloser Djurkovic-Hauptschlüssel wie ein Herbergsuchender haltgemacht hat.
In einem Meer aus weißen Kugerln bleibt die Zeit stehen. Dumpf und kräftig hört der Metzger seinen Pulsschlag, als wäre das Ohr der Vorhof seines Herzens. Schonungslos übergeht der Lauf der Dinge all das Ungesagte und Aufgeschobene. Vorhaben bedeutet nicht, etwas vorzuhaben, sondern vielmehr etwas vor sich zu haben.
Wenn der Weg abgeschnitten wird, gibt es kein „vor sich“ mehr.
Der Metzger greift auf die Tischplatte und umschließt mit seinen kräftigen Fingern den Schlüsselbund, so als wolle er das Muster der Zahnung als unzerstörbares Mahnmal in seine Handflächen pressen. Wenn er könnte, würde er ewig hier sitzen bleiben, auf dem Vorzimmerteppich, erstarrt von der Wucht der Schreckensmeldung, versteckt vor der eigenen Courage, verkrochen vor seinem Schamgefühl und seiner Wut auf sich selbst.
Er kann aber nicht, der Metzger. Das
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