Der Metzger sieht rot
die Dunkelheit gerichtet. Licht geht keines an, nur der helle Strahl einer Taschenlampe läuft suchend die Wände entlang. Gummisohlen knirschen auf dem Bodenbelag der Garderobe, dann hört der Metzger, dessen Herzschlag mit einer Rasanz aufwartet, da müssen die Fußballer auf dem Spielfeld schon ordentlich laufen, das Öffnen einer der blechernen Kastentüren, gegenüber der Seite, auf der sich Kwabena Owusos Spind befindet. Eine Zeit lang wird im Kasten herumhantiert, immer wieder klappert es, dem Versperren der Tür folgt ein Zickzackkurs der Taschenlampe, dann ist Stille. Keine Schritte sind zu hören, aber auch kein Schließen der Tür, folglich ist es keine einfache Frage „Ist da jetzt noch wer in der Garderobe, oder nicht?“, vor allem, wenn das eigene Herz im ganzen Körper einen Wirbel veranstaltet, als liefen die Perchten ums Haus.
Es dauert ziemlich lang, bis der Metzger wieder so ruhig ist, um nicht ausschließlich den Pulsschlag in seinen Ohren zu hören, sondern konzentriert in seine Umgebung lauschen zu können, auch ohne dabei permanent von weiteren körpereigenen Geräuschen aufs Glatteis geführt zu werden. Wenn Alarmbereitschaft herrscht, reicht ja schon das Knistern der eigenen Hemdsärmel, um der Ohnmacht so nahe zu kommen wie eine kaiserliche Mätresse in Korsage.
Schließlich wagt sich der Metzger aus dem Duschraum. In der Garderobe, deren Aroma zuvor noch eher chemischer Natur war, wahrscheinlich ganz zum Stolz der Reinigungschefin Vymetal, verbreitet sich ein Duft, da hat schon jemand ordentlich an seinem Parfümfläschchen gerüttelt, der Nase nach eindeutig ein Weibchen.
Ein billiges Wässerchen ist das aber nicht, denkt sich der Metzger,
denn erstens muss man ja schließlich kein geschultes Naserl haben, um ein Diskontduftwasser vom Inhalt edler Fläschchen unterscheiden zu können, das ist wie beim Wein;
zweitens verflüchtigt sich ein billiger Duft mit befreiender Schnelligkeit, was man vom Kopfschmerz nach ein paar Gläschen eines billigen Dopplers Rot leider nicht behaupten kann;
und drittens hat dieses Aroma den Willibald in einer Zone seiner Empfindsamkeit erwischt, da wird er noch ganz schön unverschämt davon träumen.
Mit einer schweren, aufreizenden, weiblichen Note in der Nase begibt sich der Metzger nun auf Ausgangssuche. Orientierung hat er ja keine schlechte, der Willibald, er ist zwar im geographischen Sinn ein Fachtrottel – wobei, was die Geographie außerhalb der gewohnten Routen betrifft, vom Fachtrottel das Wort „Fach“ eine durchaus vernachlässigbare Dimension annimmt –, sollte er aber trotz dieser lückenhaften Erdkundekenntnis jemals in unbekannten Gebieten ausgesetzt werden, Norden findet er allemal, und verlaufen wird er sich nur im Sinne von da war ich noch nie, niemals im Sinne von da war ich schon einmal, weiß aber nicht mehr weiter.
So dauert es also gar nicht so lange, bis der Metzger schließlich vor dem natürlich inzwischen verschlossenen Ausgang steht. Gitterstäbe. Soweit das Auge reicht. Willibald Adrian klammert sich an den Eisenstäben fest, als wäre er ein Menschenaffe in Gegenwart schaulustiger Zoobesucher. Es fehlen ihm halt die Zuschauer. Obwohl, einen Zuschauer hat er schon, der Metzger. Nur nicht von außen, sondern von innen, oder besser gesagt von hinten. Der Dunkelheit den Rücken zu kehren ist zwar lebenstechnisch eine wunderbare Metapher, kann aber im praktischen Sinn ziemlich in die Hosen gehen.
18
„Tut mir leid, aber wer rechnet denn mit so was!“
Vor den Gitterstäben stürmt Zusanne Vymetal auf den Metzger zu und sperrt hektisch das Schloss auf.
„Ich hab mich ein wenig in Luft aufgelöst, damit mir der Hohenecker auch schön meine Heimfahrt glaubt, der ist nämlich mit mir bis zum Auto marschiert. Sie haben da aber nicht schlecht reagiert, in der Garderobe, Metzger. Wenn Sie der Hohenecker nämlich gesehen hätte, das wär gar nicht gut gewesen!“
„Na, auf den Mund gefallen sind Sie ja auch nicht gerade, von wegen Ohrringe und Theaterabo!“
„Was haben Sie gegen ein Theaterabo?“
„Das stimmt also! Deshalb Ihre gestrige Kostümierung?“
„Romeo und Julia, eine entsetzliche Inszenierung, und immer wieder Nackerte. Nur weil der Phantasie hoch dotierter Regisseure der Stoff ausgeht, müssen auch gleich die Schauspieler ohne Stoff auf die Bühne. Ein Armutszeugnis. In diesem Fall hat der Regisseur gleich die eigene Schwester als Julia besetzt, wahrscheinlich wollt er sie endlich einmal ausgezogen
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