Der Metzger sieht rot
passende Antwort parat gehabt, aber erstens fallen die einem ja sowieso erst immer dann ein, wenn man mit einem Ärger im Hirn unter der Tuchent liegt und einschlafen will, und zweitens hat der Metzger jetzt gar keine Gelegenheit mehr. In den verwinkelten betonierten Gängen eines leeren Stadions hört sich nämlich der kantige Ledersohlen-Ferseneinsatz nahender Schritte an, als wäre ein Koloss im Anmarsch, unabhängig von der körperlichen Konstitution des Trägers.
Und egal, ob man nun legal oder illegal in den Untiefen dieses Bollwerks zeitgenössischer Gladiatorenspiele sein Unwesen treibt, herannahende Schritte wirken auf jeden Fall unheimlich. Weder der Metzger noch die Vymetal sind legal hier herunten, weil auch wenn die Vymetal Chefin der Reinigung ist, in einem geputzten Stadion außerhalb ihrer Dienstzeit hat sie nichts verloren.
Unangenehm also die ziemlich energisch herannahende Geräuschkulisse, vor allem, weil man ja nicht weiß, wer da mit so hörbar festem Willen im Anmarsch ist. Und während der Metzger der Vymetal einen fragenden Blick zuwirft, beweist die Vymetal eindrucksvoll, dass ihr Mundwerk die bei Weitem reaktionsschnellste Region ihres Kopfes ist. Wie angewurzelt bleibt sie stehen.
Nicht der Metzger, der schleicht, was mit Ledersohlen und einem maroden Fuß nicht unbedingt so leicht ist, geräuschlos in den Duschraum und versteckt sich in einer Kabine.
Ein strenges „Was machen Sie da, Vymetal? Kann ich mir gar nicht vorstellen, dass Sie außerhalb Ihrer Dienstzeit in Privatbekleidung die Spielergarderobe beehren!“ dringt zu ihm.
„Ich such einen Perlenohrring. Ich bin gestern gleich nach der Arbeit ins Theater und hab meine Abendkleidung mitgehabt. Beim Umziehen da herinnen muss mir ein Ohrring herausgefallen sein. Ist ein Erbstück von meiner Mutter!“
„Und warum ziehen Sie sich in der Spielergarderobe um und nicht in den Räumlichkeiten Ihrer Putztruppe, Vymetal?“
„Glauben Sie mir, weder mein Theaterabo noch meine Abendgarderobe stößt in dieser Gesellschaft auf Verständnis. Mehr brauch ich nicht, als denen zu erzählen, was ich in meiner Freizeit mach!“
„Jetzt schaun S’, dass Sie da raus kommen!“
Dann geht das Licht aus. Langsam verhallen die Schritte.
Jetzt kommt ja der Frühling nicht mit der Brechstange daher, sondern schleicht sich behutsam an den Winter heran, um diesem irgendwann hinterhältig mit Primel, Krokus, Märzenbecher, Schneeglöckchen oder Veilchen den Garaus zu machen. Trotz der kürzlich erfolgten Zeitumstellung, die dem Metzger ja jedes Mal gleich absurd erscheint, ist den Tagen in ihrer Länge aber bei Weitem noch kein entspanntes Hineingleiten in wirklich nächtliche Uhrzeiten vergönnt. Folglich ist an diesem Abend um 20 Uhr, trotz Frühling, zusätzlich zur Kabinenbeleuchtung also auch das Tageslicht abgedreht, sehr zum Ärgernis des Willibald.
Seit seinem unfreiwilligen nächtlichen winterlichen Badevergnügen im Schotterteich am Stadtrand und der längeren Gefangenschaft im Keller seiner Schule ist dem Metzger die Dunkelheit nicht gerade sympathischer geworden. Nicht, dass er jetzt nur bei Licht einschlafen könnte, der Willibald, nur so ein finsteres leeres Stadion mit seinen hallenden Gängen ist ja nicht unbedingt zum Schlafen gedacht, es ist eigentlich gar nicht dazu gedacht, sich hier um diese Uhrzeit allein aufzuhalten. Da kann einem also schon die Angst einschießen, besonders wenn sich die Klarheit einstellt, dass man ja gar nicht allein ist.
Schritte sind zwar keine mehr zu hören, wie nun der Metzger nach der zermürbenden Zeit des Lauschens und Wartens endlich genügend Mut gefasst hat, um die Duschkabine zu verlassen und das Unternehmen „Ausgangssuche“ in Angriff zu nehmen. Sehr weit kommt er dabei allerdings nicht.
Eigentlich nur aus der Duschkabine heraus bis zur leicht geöffneten Tür, die zurück in die Spielergarderobe führt.
Und noch bevor seine Hand die Schnalle berührt, erstarrt der Metzger, als wäre er eingefroren. Vom gegenüberliegenden Eingang, durch den er vorhin in Begleitung von Zusanne Vymetal den Umkleideraum betreten hat, durchdringt plötzlich ein Knarren die ohnedies schon unheimliche Stille. Den Gedanken „Da will jemand in die Garderobe“ lässt er gerade noch zu, der Willibald, bevor er sich aus Angst vor etwaiger unerwünschter Geräuscherzeugung nicht einmal mehr zu atmen traut.
Wie angewurzelt steht er vor dem Türspalt, in äußerst ungünstiger Position, den Blick wachsam in
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