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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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oder anziehen ist längst kein Thema mehr, meistens sitzen sie nur und reden. Was er über sie weiß, weiß er nur, weil sie es will, weil es ihr notwendig erscheint, um bei ihm ein Gefühl der Nähe hervorzurufen, ohne dass er dabei zu nahe an sie herankommt. Vertrauen würde sie ihm nie, aber selbst mit dieser Vorsicht hat sie gelernt, sich mit ihm auszutauschen. Reden ist die beste Therapie. Man kann also auch vom Therapeuten besucht und bezahlt werden, äußerst gut bezahlt sogar. Warum er sie aufsucht, war ihr anfangs nicht klar, ihm wahrscheinlich auch nicht, durch die intensiven Gespräche wurde aber aus einem vorsichtigen Ausloten eine Bereicherung der gegenseitigen Interessen.
    Er bezahlt sie nicht für die hier üblichen Leistungen. Wenn er in ihre Kammer kommt, dann braucht er eine Kammerjägerin. Und er bezahlt sehr gut, außergewöhnlich gut.
    Normalerweise ist er ein ausgesprochener Gentleman, galant selbst in seiner Bestellung, heute aber knallt er nur das Bild einer an Schläuchen hängenden, bandagierten, lebenden Frau auf ihren Tisch.

17
    Alles ist aus dem Lot, Willibald Adrian Metzger hat zwar versucht, Edgar an diesem Morgen die gleiche Erleichterung wie am Vorabend zuteil werden zu lassen, aber vergeblich. Gut, der Metzger war auch um einiges gehetzter, soweit man mit einer gigantischen Blase auf der rechten Ferse überhaupt gehetzt sein kann, immerhin warten da heute viel bedeutsamere Dinge auf ihn. Dinge, die von einer Erleichterung allerdings genauso weit entfernt sind wie das Männchen einer Gottesanbeterin von einer zweiten Liebesnacht. Beinah auch genauso tödlich.
    Am Morgen war der Metzger zum ersten Mal an diesem Tag im Spital, aufs Neue schockiert und zugleich innerlich ermattet. Nichts kann er tun, nur warten, und genau dieses Warten, dieses Bewusstwerden des Ausgeliefertseins an die Willkür des Lebens, macht ihn so unsagbar müde. Angehörige sind manchmal müder als die Betroffenen selbst. Danjelas Zustand erschien unverändert schlecht, wodurch sich dem gedankenverloren am Bett sitzenden Metzger, hervorgerufen durch eine gewisse Zustandsübereinstimmung, hinterfotzig aus der Verdrängungsecke des Gehirns Ingeborg Joachims Tabernakelschrank ungebeten selbst in den Hauptspeicher beförderte. Daraufhin hetzte der Metzger erneut in Danjelas Wohnung, um Edgar abermals einen Markierungsversuch härterer Konsistenz zu gönnen. Der dachte sich aber, was soll ich eine Gegend markieren, die ich wie mein eigenes Hinterteil in- und auswendig kenn, da wart ich doch lieber, bis sich eine Kennzeichnung so richtig lohnt.
    Das Gerippe von Ingeborg Joachims Tabernakelschrank kannte Edgar zum Beispiel noch nicht. Justament von Würstelform weit entfernt, hat der zwecks Organisationserleichterung in die Werkstatt mitgeschliffene Mischling in den quer liegenden Korpus aus Nussholz einen soßenartigen Tupfer gepresst, der dem Metzger erst leider so spät aufgefallen ist, da könnte ein Kartograph die rundlich hinterlassene, eingetrocknete Maserung durchaus als die Schweiz, Spanien samt Portugal, Frankreich oder Polen deuten.

    Um 15 30 Uhr erreicht der Metzger, nach bedeutungslosem Herumgewische auf Otto Weinstadlers Spieltisch, den ausgemachten Treffpunkt mit Zusanne Vymetal. Zum zweiten Mal steht er vor dem Haupteingang des Unfallkrankenhauses, und es wird heute nicht sein letzter Besuch sein.
    Dass so ein Krampen von einer Frau wie die Vymetal eine derartige Sensibilität zusammenbringt, erstaunt den Metzger dann schon sehr. Zärtlich streicht sie der Danjela über die Hand und erzählt ihr dabei in einem fort mit weicher Stimme belangloses Zeug, was sie heute morgen wo einkaufen war, dass sie extra die Bluse angezogen hat, die die Danjela ihr zum Geburtstag geschenkt hat, dass die Danjela, wenn sie demnächst wieder zu sich kommt, gefälligst dem Willibald unbedingt auch ein gescheites Hemd kaufen soll.
    Nichts lässt sie sich anmerken von der Niedergeschlagenheit, die dem Metzger dann bei der gemeinsamen Fahrt ins Stadion dermaßen ans Herz geht, da mucken direkt ein paar kurze Sympathiewallungen auf und pochen hartnäckig auf ihr Recht, registriert zu werden. Die Vymetal ist scheinbar wirklich eine gute Freundin, wobei sich natürlich sofort beim Metzger die Frage aufdrängt „Warum lern ich die erst jetzt kennen?“, gefolgt von dem Rätsel „Wie kann sich eine Putzfrau so einen teuren Schlitten leisten?“
    Im Stadion ist dann allerdings von Niedergeschlagenheit keine Rede mehr. Wie ein

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