Der Metzger sieht rot
Vorsicht in Person, ist gestern vom Theater heimspaziert, sie geht meistens alles zu Fuß. Und dann, das ist mir bis heute ein Rätsel, will sie offenbar hinter einem parkenden Lastwagen schnell über die Straße laufen und wird überfahren. Der Lenker hatte keine Chance zu bremsen. Entsetzlich, einfach entsetzlich!“
Was soll man darauf antworten. Der Metzger, der ja selbst mit seinem eigenen Gemütszustand zu kämpfen hat, meint:
„Ja, entsetzlich!“
„Wissen Sie“, setzt der Mann fort, „ da kämpft man ein Leben lang mit der Zeit und dem Ansammeln von Vermögen, und von einer Sekunde auf die andere wird beides unbedeutend. Meine Frau hängt an der Beatmungsmaschine, keine Chance ohne Geräte. Eigentlich …!“, er unterbricht kurz, „eigentlich ist es aus!“
Stille. Draußen geht mit schnellem Schritt eine Schwester vorbei, und dem Metzger wird klar, wie schnell auch so ein Leben vorbei sein kann.
Irgendwie erscheint dem Willibald die Situation absurd und er wehrt sich. Er wehrt sich dagegen, durch das unendliche, aufgrund der Hoffnungslosigkeit hervorgerufene Leid eines anderen selbst Hoffnung zu schöpfen. Hoffnung für seine Danjela, die trotz Koma die lebenserhaltenden Funktionen bis jetzt nicht aus der Hand gegeben hat, stur wie sie ist. Hoffnung ist genauso rücksichtslos wie das Schicksal selbst, sie nutzt jede Möglichkeit, um den Funken aufblitzen zu lassen, den einen Funken Zuversicht, ist er auch noch so unwahrscheinlich.
In Gedanken versunken wird er abermals angesprochen:
„Und bei Ihnen, was ist da passiert?“
Zum ersten Mal wird dem Metzger bewusst, dass er nicht weiß, wie er seine Danjela bezeichnen soll, dass er kein passendes Wort findet.
„Meine Freundin“ bei einem Mitte 40-jährigen Mann klingt beziehungstechnisch lächerlich, pubertär und platonisch,
„meine Partnerin“ klingt zwiespältig, klingt beruflich nach Geschäft oder Firma, beziehungstechnisch steril und distanziert,
„meine Lebensgefährtin“ klingt zwar schon besser und trotzdem nach bereits ein paar Mal geschieden und vorübergehend wieder vergeben,
„meine Frau“ klingt nach verheiratet, welch einvernehmende Besetzung des einzig passenden Wortes.
Für den Metzger ist Danjela Djurkovic nämlich Frau, die einzige Frau, sogar die Frau seines Lebens, also seine Frau, da spielt es für ihn auch keine Rolle, ob und wie oft sie schon das Bett miteinander geteilt haben, da macht es ihm nichts aus, dass er bindungstechnisch ein absoluter Hosenscheißer ist, und da macht es ihm schon gar nichts aus, was andere denken, wenn er sagt: „meine Frau“.
Nach einer eher ungewöhnlich langen Pause sagt er mit einem befreiten Gefühl der plötzlichen inneren Klarheit:
„Meine Frau!“
Dann wird das befreite Gefühl vom kurzen Höhenflug wieder zurück auf den Boden der Realität geschmettert, der Metzger beginnt zu erzählen:
„Meiner Frau haben Kicker-Saurias-Fußballrowdys offenbar aus rassistischen Gründen, denn sie ist zwar längst hier beheimatet, aber trotzdem hörbar ausländischer Herkunft, auf dem Heimweg wahrscheinlich mit einem Baseballschläger den Schädel eingeschlagen! Und glauben Sie mir, da kämpft man ein Leben lang erfolgreich bis zur Selbsterniedrigung mit dem Vorsatz, Gewalt nicht mit Gewalt beantworten zu wollen, und von einer Sekunde auf die andere bekommt die Vorstellung, irgendjemanden tot sehen zu dürfen, einen durchaus gefälligen Reiz!“
Jetzt hat der Unbekannte ja schon vorher eine Verbitterung im Gesicht stehen gehabt, da setzt sich jede freudvolle Mimik freiwillig in die hinterste Reihe, die Metzger-Geschichte allerdings verpasst den ohnedies schon schwer gezeichneten Zügen ein zusätzliches Entsetzen, als ginge es bei der Geschichte um den Unbekannten höchstpersönlich.
Das wundert den Metzger, obwohl ihn das gar nicht zu wundern bräuchte, wäre sein Erinnerungsvermögen, was bekannte Gesichter und deren Zugehörigkeit betrifft, von etwas haltbarerer Ausstattung!
„Das tut mir ja so leid!“, flüstert der Fremde, „so schrecklich leid. Ich, ich weiß nicht was, was …!“
„Bitte, kommen Sie schnell!“
Schlagartig bleibt dem Metzger der Atem weg, sein Herz beginnt zu rasen, und ihm ist, als müsse er sich übergeben, dann sieht er aber an der Blickrichtung der panisch wirkenden Schwester, die eben hektisch die Türe aufgerissen hat, dass der Zuruf nicht ihm gilt. Sein Gegenüber springt auf und stürmt der Schwester hinterher aus dem Zimmer. Der Metzger
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