Der Metzger sieht rot
die Purzelbäume schlagen, haben sich in ihrem Leben allerdings schon oft genug aufgedrängt.
Georgy Podinskys einzigartige Bilder sind Striche in Vollkommenheit, Kompositionen aus Farben, die sich selbst in vollendeter Form darstellen, und nur sich selbst. Das gefällt ihr, Bilder, die sich selbst genügen. Und das gefällt nicht nur ihr, denn dermaßen hoch werden die Gemälde in Kennerkreisen gehandelt, da muss ein Niemand aus der Mittelschicht ein ganzes Jahr dafür arbeiten. Sie ist kein Niemand, außerdem arbeitet sie in der Oberschicht, obwohl als Arbeit würde sie diesen Teil ihrer gewinnbringenden Tätigkeit auch nicht bezeichnen. Rache ist keine Arbeit.
In ihrem Zimmer vor dem französischen Bett hängt zum Ambiente passend „Kredatris“, ein echter, von scheinbar unendlich vielen Rottönen dominierter Podinsky mit typisch absurdem Namen in barockem goldenem Rahmen. Der einzige Bezug zur Wirklichkeit, den dieses Bild in ihr hervorruft, ist der Grund, warum es nun überhaupt die Wand ziert: Kwabena Owusos erfreuliches, von ihr verursachtes Dahinscheiden samt den unglaublich amüsanten Wochen bis zu seinem Tod. Eine größere Freude hätte ihr der Owuso gar nicht bereiten können, als wie geplant ihren Reizen völlig erliegend erste deutliche Anzeichen an Unterwürfigkeit, in seinen Augen Verliebtheit, an den Tag zu legen. Ein in sie verliebter Mann, der durch ihre Hand sterben wird – gibt es etwas Schöneres?
Natürlich gibt es etwas Schöneres.
Zum Beispiel einen anderen verliebten Mann, der sterben wird, nachdem er eines Mordes bezichtigt worden ist, den er gar nicht verübt hat, und ihn dann verrecken lassen samt seiner Gewissheit, vor dem unweigerlich eintretenden Tod nicht alles bereinigen zu können – schön.
Das Leben kann auch richtig Spaß machen.
Zuerst muss sie aber noch diese eine Frau erledigen, diese unangenehme Angelegenheit beenden, wenn das nur schon geschehen wäre – es wird ihre einzige Frau bleiben, das hat sie sich geschworen.
Heute noch wird sie ins Spital fahren.
Wenn das vorbei ist, kann das Theater endlich beginnen.
21
Der Metzger ist klarerweise nicht mit aufs Revier gefahren, sondern hat sich vor dem UKH absetzen lassen.
Wenn die Nacht ein Spital in ihren Fängen hat, wirken die Schicksale doppelt. Ohne den Wirbel der Essenswagerl, der herumeilenden Ärzte oder Schwestern, der wischenden Reinigungskräfte und abgekämpften Besucher reduzieren sich die still gewordenen Gänge auf ihre eigentliche Bestimmung: Sie führen mit gedämpftem Licht zu den Kranken, Leidenden, Hoffenden, Sterbenden.
Auf dem Gang zu den Zimmern der Intensivstation, der besten der Stadt, lösen sich die Klassenunterschiede auf, je näher man den Komapatienten kommt. Hier gibt es keine Klasse-Zimmer mehr, und selbst die Chefarztpatienten, die zwecks ersehnter Bestbetreuung tief in die Tasche greifen und dadurch meist von jenem Arzt betreut werden, der am allerwenigsten operiert, mittlerweile am seltensten vor Ort ist und am weitesten weg von der zwischenmenschlichen und praktischen Front steht, ja selbst die Chefarztpatienten liegen hinter einem Vorhang in einem Zimmer ohne Satellitenfernsehen, Bad und Toilette.
Nach Durchschreiten der Schiebetür zur Komastation findet der Metzger überraschenderweise keine der Schwestern hinter dem Schalter beim Eingang vor und geht unangemeldet weiter, bis er schließlich die Tür zum Zimmer seiner Danjela erreicht. Weiter kommt er aber nicht mehr, denn kaum dass er die Schnalle berührt, wird er aus dem Inneren des Krankenzimmers von einer Schwester gebeten, noch zu warten, Frau Djurkovic würde gerade für die Nacht versorgt.
Willibald Adrian betritt den Warteraum, ein sehr kleines Zimmer, und stockt etwas beim Eintreten. Er hätte nicht erwartet, zu dieser späten Stunde nicht allein zu sein.
„Guten Abend!“, grüßt er höflich.
Ein korpulenter Mann grüßt freundlich, aber niedergeschlagen zurück, und irgendwie scheint es dem Metzger, er hat ihn schon einmal gesehen, diesen Mann, zumindest sein Gesicht. Dann nimmt der Metzger Platz und starrt mit gesenktem Kopf stumm auf den hellgrünen Bodenbelag.
Die Stille der beiden wird schließlich durch die leise Stimme des ebenso wartenden Herrn gebrochen:
„Mir scheint, wir sitzen hier aus demselben Grund. Sind grad die Nachtschwestern in den Zimmern, nicht? Wie lange haben Sie schon jemand hier?“
„Seit gestern!“
Bedrückt erzählt er: „Ich auch! Autounfall. Meine Frau, normalerweise die
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