Der Metzger sieht rot
versteht die Welt nicht mehr. Irgendjemand muss sich durch ihn auf den Schlips getreten fühlen. Oder doch auf den Rock?
Denn mittlerweile glaubt der Willibald nicht mehr an die Duftwanderung vom Traum in die Wirklichkeit. Mittlerweile glaubt er sogar, dass da bei ihm, während seiner alkoholbedingten Abwesenheit in der Werkstatt, derselbe Besucher oder dieselbe Besucherin, kurz „das Parfüm“, vorbeigeschaut hat wie kürzlich in der Garderobe des Stadions.
Nur warum?
Im Metzger-Hirn beginnt die Rotation ungewöhnlicher Gedanken, denn bis zum Moment der Namensschildentdeckung war er immer der Überzeugung, nur Zaungast dieser Geschichte zu sein, Angehöriger des Opfers.
Aber jetzt tauchen Fragen auf, die ihn nicht gerade beruhigen:
Weiß „das Parfüm“ also genauso von meiner Exkursion ins Stadion wie ich von seiner Garderobendurchschreitung samt Herumgekrame?
Weiß es von Danjela im Spital? Woher?
Wie kommt „das Parfüm“ auf meinen Namen und meine Adresse und wie kommt es zu dem Wissen um meine komatöse Freundin?
Was soll diese Drohung bedeuten, wann war ich ihm gefährlich?
Willibald Adrian Metzger beginnt nun eine ganz besondere Angst zuzusetzen, denn auf der Pospischill-Seite steht der Fall mit der wahrscheinlich demnächst bevorstehenden Kreuzberger-Verhaftung vor einer Lösung: Bedeutet diese Lösung den Tod seiner Danjela? Soll das die Drohung zum Ausdruck bringen?
Wer wusste noch von seinem Stadionbesuch außer „dem Parfüm“, Eduard Pospischill und Zusanne Vymetal?
Zusanne Vymetal?
Ist es denkbar, dass sie da mit drinnen steckt, dass sie dem Metzger eine Drohung zukommen lässt und gegebenenfalls ihre beste Freundin beseitigt?
Niemals, geht es dem Willibald durch den Kopf, unvorstellbar und viel zu durchsichtig. Das wäre ja selbst der Vymetal klar, dass er zwangsweise auf sie kommen müsste.
Was tun?
Nichts tun ist unmöglich, das ist dem Willibald klar, er muss mit dem Pospischill reden, anders geht das nicht.
Eduard Pospischill hört sich das alles an. Ruhig und dennoch irgendwie abwesend sitzt er hinter seinem Schreibtisch, beobachtet über den Rand seiner dicken Hornbrille gelegentlich die Lippenbewegungen des Restaurators, zieht qualmend an seiner Zigarette, ohne auf die pathologische Rauchaversion seines Freundes Rücksicht zu nehmen. Nachdem der Metzger abermals, nur diesmal hörbar und tatsächlich ausgesprochen, bei der Frage „Was tun?“ ankommt, meldet er sich mit einer überraschenden Ankündigung zu Wort, während er die üblen Überreste seines Lungenzuges in den ohnedies vom gesundheitlichen Standpunkt bereits höchst bedenklichen Nebel pustet.
„Personenschutz, das steht fest. Weil egal, wie da was gemeint sein könnte, wir gehen kein Risiko ein. Ich lass die Danjela ab sofort rund um die Uhr bewachen und informier das Spital. Das ist das Erste.
Ich vermute allerdings, der Fund in deiner Werkstatt ist eher eine Aktion von der Sorte: Der soll jetzt kräftig Schiss bekommen!“
Nach einer kurzen Gedankenpause, die er vor allem dazu nutzt, um an dem Bügel seiner abgenommenen Brille herumzukauen, setzt er fort:
„Was natürlich auch sein kann, ist, dass der Täter, der die Danjela auf dem Gewissen hat, also der Werner Blaha, schön langsam Angst bekommt, die Frau Djurkovic könnte ihm, falls sie wieder zu Bewusstsein kommt, mit ihrer Aussage die drohende Gefängnistür endgültig ins Schloss fallen lassen!
Wie auch immer, eines ist sicher: Das riecht schwer nach einer Verzweiflungsaktion und sagt nichts anderes als: Wir sind auf dem richtigen Weg. Mach dir keine Sorgen, Willibald.“
„Und das Parfüm?“
Dass der Metzger in Anbetracht der vom Zigarettendunst verpesteten Luft überhaupt noch einen Gedanken an andersartige Duftstoffe zusammenbringt, liegt ausschließlich an seiner Not. Hektisch und kurzatmig setzt er fort:
„Das passt ja so gar nicht zu einem der schweren Ultras-Jungs, geschweige denn zum Werner Blaha.“
„Na, weißt du, welche ästhetischen oder gar sexuellen Vorlieben die so verfolgen oder was zu wem passt? Oder kennst du sie alle? Vielleicht haben wir ja da eine Matrone in der Ultras-Truppe. Kann doch sein, es gibt ja auch durchaus weibliche Rassisten, oder glaubst du, Frauen sind alle linksliberal? Frauen, sag ich dir, Frauen werden zu Kampfmaschinen, wenn jemand die unsichtbare Grenze in ihr Revier überschreitet. Vielleicht geistert da ja irgendeine oder sogar die Freundin vom Blaha herum. Eines sag ich dir, wenn wir den
Weitere Kostenlose Bücher