Der Metzger sieht rot
Welt.
Während der Regis-Firmenchef und Kicker-Saurias-Präsident mit sanften Bewegungen und kaum hörbaren Motorgeräuschen die Limousine in einem Geschwindigkeitsbereich steuert, bei dem der Wollnar-Pritschenwagen ebenso marode daniederliegen würde wie im Augenblick Petar Wollnar selbst, meint er:
„Ich werd Sie jetzt auf andere Gedanken bringen, Herr Metzger. Man denkt ja ohnedies an nichts als an die Frage: Wird sie jemals wieder aufwachen?
Bei Ihrer Frau wird alles gut. Sie werden sehen! Denken Sie nicht ans Schlimmste, immer nur das Gute im Auge behalten, das Schlimmste kommt ganz von allein, das sehen Sie bei mir. Nichts lässt sich dagegen tun. Es gibt nichts zu verlieren, weil von vornherein ohnedies klar ist, dass wir alles verlieren. Ist doch auch irgendwie beruhigend. Meine Frau hat immer gesagt: Das Leben setzt uns am Ende sowieso alle schachmatt, da sollten wir wenigstens kräftig den einzelnen Zügen das Beste abgewinnen und uns am Positiven orientieren. Wie klug sie war.“
Nach einer Gedankenpause setzt er fort:
„Also, nun zu den anderen Gedanken, das passt übrigens hervorragend zu schachmatt: Der kunstvolle barocke Spieltisch, der da in Ihrer Werkstatt herumsteht, ist der zu haben?“
Der Metzger ist irgendwie gereizt, fühlt sich wie ein Fremder auf diesen beigen Lederautositzen und ist auf solche Ansprachen eigentlich überhaupt nicht neugierig. Ihm geistert nur die Frage im Kopf herum: Wird sie jemals wieder aufwachen können? Eher nüchtern meint er:
„Sie sind zu bewundern, Herr König, wirklich. Haben grad die eigene Frau verloren und reden von: das Gute im Auge behalten, den Zügen das Beste abgewinnen und sich am Positiven orientieren! Verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber das glaub ich Ihnen nicht so recht. Das glaub ich Ihnen erst, wenn Sie eine Woche lang heulen und Die-Welt-verfluchen hinter sich haben, und diese Woche kommt bestimmt. Und ja, der Spieltisch ist zu haben, ich muss ihn allerdings zuerst restaurieren, ist ein einzigartiges Stück!“
„Das kann schon sein, dass diese Woche kommt, Herr Metzger. Trotzdem werd ich zu Ehren meiner Frau das Leben weiter in die Hand nehmen, wahrscheinlich reduzierter, aber intensiver. Meine Frau und ich, wir haben gemeinsam auf dem Weg von ganz unten hinauf so viel Schreckliches erlebt, haben so viel geteilt, und dass ich überhaupt mit ihr sein durfte, all die Jahre, das ist das größte Geschenk. Und dieses Geschenk werde ich entsprechend würdigen, das garantier ich Ihnen.
Den Spieltisch nehm ich so, wie er ist, machen Sie mir einen guten Preis, im Sinne von: Gut für Sie. Geld spielt keine Rolle!“
Wie den Metzger dieses „Geld spielt keine Rolle“ anwidert, diese Predigt vom hohen Ross der Wohlhabenden, und wie es ihn insgeheim gleichzeitig fasziniert. Ist Johann König echt oder nur ein Abziehbild für sein eigenes „Das bin ich“-Sammelalbum. Was oder wer steckt dahinter?
Vor dem UKH, nach einer Fahrzeit, an die eine Rettung mit Blaulicht und freier Straße nicht herankommt, erhält der Metzger noch ein Visitenkarterl, für das andere, dank der angeführten König-Privatnummer, viel Geld springen lassen würden, und höchstpersönlich den Hinweis: „Wehe, Sie rufen nicht an, wenn Sie was brauchen. Aber ich weiß ja jetzt, wo ich Sie finde! Den Spieltisch liefern Sie mir irgendwann, wenn es Ihnen passt, in mein Saurias-Büro.
Alles Gute und wir bleiben in Verbindung!“
Jetzt geht es ihm besser, dem Präsidenten. Der König hat seinem Ehr- und Pflichtgefühl Genüge getan, winkt aus seinem Schlitten dem plump, im abgetragenen Sakko zum Haupteingang laufenden Restaurator hinterher, ohne eine Erwiderung der Geste zu erfahren. Kein Wunder.
Der Metzger stürmt aufgeregt ins Spital, seine ihn umgebende Welt hat aufgehört zu existieren. Seine ganze Aufmerksamkeit ist nach vorne gerichtet.
36
Und alles ist beim Alten, was für ein Segen. Gleichmäßiger Atem, regelmäßiger Herzschlag und keine Reaktion. Nie hätte er sich gedacht, dass er sich über diesen Zustand seiner Danjela eines Tages beruhigt freuen könnte, aber jetzt fällt ihm ein halber Stein vom Herzen, während die andere Hälfte eine Schwere entwickelt, als wäre sie immer noch das ganze Stück.
Was steckt hinter dieser Botschaft des durchgestrichenen Namensschildes, wenn Danjela zwar in unverändert erschütterndem Zustand, aber wenigstens lebendig in ihrem Bett liegt?
Eine Drohung? Von wem und warum an ihn?
Der Metzger sitzt am Krankenbett und
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