Der Metzger sieht rot
dass gleich ein verliebtes Händchenhalten oder ein vernarrtes Arm-in-Arm-Dahinschlendern daraus wird. Viel eher gleicht dieses Nebeneinander dem Trab zweier Rösser, die einmal schwerfällig, einmal leichtfüßig den Karren durch das unwegsame Gelände zwischen Geburt und Tod ziehen. Das ist der Plan.
Wird es nun abgehängt, das Gewissen, kann es schon eine schwer pubertäre rotzige Art an den Tag legen, lässt sich eingeschnappt noch weiter zurückfallen, außer Sichtweite versteht sich, so nach dem Motto „Na, jetzt schau einmal, wie weit du kommst ohne mich!“
Und jeder, der aus Gekränktheit ein Verschwinden vortäuscht, will natürlich gesucht werden. Auch das Gewissen.
Gelegentlich dauert es aber sein Zeitchen, bis der davoneilende Vordermann überhaupt bemerkt, dass ihm da sein Nachbarpferdchen abhanden gekommen ist, und in dieser Zeit der Ahnungslosigkeit geschehen dann genau jene Dinge, die selbst mit aufgerücktem zweitem Gaul nicht mehr auszubügeln sind.
Es soll allerdings schon passiert sein, dass so mancher ganz schön weit gekommen ist, ohne sich je umgedreht zu haben. So ein Goldesel an der Seite kann dem Gewissen nämlich gewaltig den Platz im Gespann streitig machen. Und Geld besitzt ja bekanntlich die Fähigkeit, dermaßen bleibend auszubügeln, dagegen erzielt ein glühendes Dampfbügeleisen nur lächerlich kurzfristige dekorative Glättungseffekte, wenn es nicht gerade als Folterinstrument zum Einsatz kommt.
Übrigens, auch Geld eignet sich prächtig als Folterinstrument, vor allem wenn es jemand, der ohnedies in Eile ist, bekommen soll und es eigentlich gar nicht bekommen will.
Wenn es um Gewissensberuhigung geht, ist der Spender gewissenlos, koste es, was es wolle.
Johann König steuert seinen Wagen, gelenkt von der männlichen Stimme des Navigationsgerätes. Welch absurde Erfindung, geht es ihm durch den Kopf, das eigene Hirn wird an ein Kästchen abgegeben und dazu verleitet, weder den Blick in eine Karte noch auf die Umgebung und auf die Straßennamen zu werfen. Wir verkümmern zusehends zu ferngesteuerten Robotern.
Einmal mehr festigt sich sein Entschluss.
Da ist so viel schief gelaufen in seinem Leben, keine andere Möglichkeit bleibt ihm, als sich schön langsam mit dem Gedanken anzufreunden, bei sich selbst anzufangen, bestimmt sehr zur Freude einer ganzen Menge Menschen, besonders seines ewigen Kontrahenten Vinzenz Fürst, Präsident des städtischen Konkurrenzklubs SK Athletik Süd.
Was die beiden sich schon an Kämpfen geliefert haben, das reicht für ein Leben. Obwohl, die letzten Monate ist er sich gar nicht mehr so sicher gewesen, aus welcher Richtung ihm mehr Dreck ins Gesicht geblasen wird, denn die Abgase aus den eigenen Reihen sind auch nicht ohne.
Egal, das soll der Vergangenheit angehören, so wie nun auch seine geliebte Frau Lydia.
Die männliche Stimme erklärt: „Noch 50 Meter zur Zieladresse.“
Johann König parkt seinen Wagen ein, den er immer noch selbst lenkt. Eine „Ich lass mich fahren“-Chauffeurmentalität widerstrebt ihm zutiefst.
Ich lenke mein Leben selbst, denkt er zumindest.
Direkt vor der Zieladresse einen Platz zu finden, ist im Wahnsinn des städtischen Parklückenkleinkriegs wahrlich ein Geschenk.
Heute ist der zweite Tag nach dem Tod seiner Frau, die Kinder sind angekommen, die knallharten Behördenwege waren dank seiner Kontakte im Handumdrehen erledigt.
Die Wucht des Organisatorischen nach einem Tod schlägt ihm die Tür zur Trauer vor der Nase zu. Und irgendwie ist er froh darüber. Es bewahrt vor dem absoluten Absturz. Der Tod samt seinem Rattenschwanz an Nachbereitung ist ein Projekt. Vor allem eines, das meist unvorbereitet vor der Tür steht, jede Aufmerksamkeit auf sich zieht und jedem den Moment des Zur-Ruhe-Kommens verunmöglicht, bis auf den Verstorbenen selbst natürlich. Der kann nun so was von zur Ruhe kommen, schöner geht es nicht. Ja, schöner! Ein Toter hat ihn geschafft, den Zieleinlauf, was immer er nun hinter der Ziellinie auch verpasst bekommt, eine Medaille, einen Pokal, ein Elektrolytgetränk, ein ehrliches Bier oder einen Schub Fegefeuer. Lydia König hatte weder Angst vorm Sterben noch vor einem Unglück und schon gar nicht vor dem Leben selbst. Alles wird gut, war ihr Motto, und für Johann König ist dieser Leitspruch das einzig bedeutsame Erbe. Noch keine Träne hat er geweint vor lauter Rennerei.
Nichts ist allerdings heimtückischer als Trauer. Die kann warten und holt sich ihr Recht. Momentan hat
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