Der Metzger sieht rot
moralische Bedenken das Eigentum der Danjela wiederum nicht gleichgültig ist, und er es folglich auch unbekümmert verwendet.
Was ihn nun allerdings selbst betrifft, ist es mit der Unbekümmertheit nicht mehr ganz so einfach wie bisher. Da schüttelt es ihn nämlich gewaltig durch, so wie beim Durchqueren der unzähligen Seitengassen mit ihren geschichtsträchtigen Pflastersteinen. Diese Angst vor einer möglichen Verhaftung hat ihn auch entsprechend seiner Logik Maßnahmen ergreifen lassen, die bereits seit einiger Zeit durchaus Erfolg zeigen:
Denn Werner Blaha hat kapiert, dass sein Outfit im Augenblick mehr der Polizei als ihm selbst dienlich ist. Nichts ist leichter, als eine rote Stoppelglatze wegzurasieren, die roten Schnürstiefel und die auffällige Lederjacke gegen neutrale Kleidung auszutauschen, inklusive unauffälliger Schirmmütze.
Wenn allerdings der, aufgrund mehrfacher alkoholisierter Unfälle mit Personen- und Sachschaden, abgenommene Führerschein auch noch hinter den ohnedies schon beschränkten Horizont gerutscht ist, was bleibt einem beschleunigten Menschen anderes übrig, als auf das nächstbeste flotte Fortbewegungsmittel zurückzugreifen? Noch dazu, wenn man dieses in letzter Zeit ziemlich lieb gewonnen hat. So ein Waffenrad ist stabil, mobil und würdevoll. Der letzte rote Rettungsanker im Leben des Werner Blaha, denn der Alte-Mühle-Wirt Georg Schneider sitzt bereits in U-Haft, sein Bruder Kurti, der kleine Blaha, wird tagaus tagein vernommen, die Ultras lösen sich auf wie gute Vorsätze kurz nach Silvester, und er selbst strampelt von einem Unterschlupf zum nächsten, im vermeintlichen Glauben seiner Unauffindbarkeit. Die nächsten Tage wird es die Wohnung von seinem Kumpel, dem Zeugwart Walter Kuransky, sein.
Willibald Adrian Metzger steht vor seinem Kleiderschrank und betrachtet den Hochzeitsanzug seines Vaters. Ein ganz feiner Nadelstreif ist das, und während er auf das Muster starrt, drängt sich der Gedanke an die breiten Streifen diverser Sträflingsgarderoben auf. Kommt für manchen ja wirklich aufs selbe hinaus, denkt sich der Metzger und sinniert über die Vielzahl an Begebenheiten in der Verbindung seiner Eltern, die ihm eindrucksvoll die Einsicht brachten, Ehebund und Gefangenschaft unterscheiden sich oft nur durch die Art des Aktenvermerks.
Dann läutet das Telefon:
„Ich bin’s, Zusanne! Hast du Zeit?“
Ein Du? Da ist ein Du!
Der Metzger muss schlucken. Schlucken, weil ihm dieses plötzliche Nahetreten der Vymetal irgendwie ein unangenehmes Gefühl verschafft. Unangenehm im intimen Sinn, denn so unmöglich ist die Zusanne Vymetal nämlich gar nicht, um nicht zu sagen sympathisch. Und eine Danjela-Freundin, die nun plötzlich mit einem Du an den ohnedies sehr unter Einsamkeit leidenden Willibald herantritt, genau in der Ursache dieses Leides verbunden, darf einem gewissenhaften Mann ja ohne weiters etwas unangenehm sein.
Nur ein stockendes „Ja“ kommt dem Metzger über die Lippen.
„Ich hol dich ab, in zehn Minuten!“, und aufgelegt hat sie.
Nervös geht der Metzger in seinem Schlafzimmer auf und ab, wechselt sein Hemd, läuft ins Bad und fühlt sich schäbig, als wäre dieses Du samt den ausgelösten Reflexen bereits ein Seitensprung, als käme das Wechseln des Hemdes dem lüsternen Entblößen des Leibes gleich.
Und während er streng mit sich ins Gericht geht, hört er die Worte seiner Mutter in Anbetracht einer der väterlichen erlogenen Abschwächungen. „Wir sind ja nur ausgegangen“, hatte er gemeint und sich die mütterliche Erklärung „Betrügen beginnt im Kopf, der Gedanke ist oft schmutziger als die Tat! Da ist es mir dann schon egal, was ihr zusammen treibts!“ eingefangen.
Das hat der Metzger-Vater dann auch wörtlich genommen.
„Kann ja keine Rede sein von sexuellen Gedanken“, analysiert der Metzger nun seine eigenen Hirngespinste und kommt zu dem Schluss: Dieser angenehme Reiz des Sich-Näherkommens macht ihn nur deshalb nervös, weil das Umschwenken aus einer anfangs feindlichen Distanziertheit zu einer unerwartet freundschaftlichen Vertrautheit bevorstehen könnte. Was allein die Anrede alles anstellen kann.
Und noch bevor Edgar die Extraportion Futter verschlungen hat, die ihm der aufgeregte Metzger kredenzt, als würde er sich auf diese Art bei seiner Danjela entschuldigen wollen, läutet es an der Sprechanlage:
„Kommst du runter, ich sitz im Auto!“
Noch nie hat sie ihn so begrüßt. Nach einem sanften Griff auf die
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