Der Meuchelmord
und ging weiter. Sie war überhaupt viel allein, seit sie ihre Eltern bei dem schrecklichen Flugzeugunglück über Mexico City verloren hatte. Ihren Vater hatte sie kaum gekannt und ihm auch nicht besonders nahegestanden. Er war von Kopf bis Fuß ein Cameron, besessen von der Jagd nach dem Geld, ganz unter dem Einfluß seines älteren Bruders Huntley. Aber ihre Mutter war für sie immer Zuflucht, Vertraute und Vorbild gewesen. Ohne sie fühlte sich Elizabeth verloren. Sie besaß alles und doch nichts: nichts, um ihr Leben auszufüllen und ihm einen Sinn zu geben. Das war auch der Grund, weshalb sie trotz anfänglicher Bedenken nun nach dem Nahen Osten reiste, zusammen mit einem Mann, den sie eigentlich gar nicht kannte und der ihr nichts über den Grund der Reise sagen wollte – war es wirklich nur Langeweile, oder hatte sie der Familiensinn, die Zuneigung zu ihrem Onkel zu dieser Reise veranlaßt? Eddi King war ein Freund von Onkel Huntley und ein ganz unverfänglicher Reisegefährte. Vielleicht hatte dieser Umstand ihrer Entscheidung nachgeholfen.
Sie entdeckte ein kleines, halbleeres Restaurant und trat ein. Sie bestellte sich eine Tasse Kaffee und zündete sich eine Zigarette an. King hatte sie zum Lunch eingeladen. Diese Einladung machte sie ein wenig mißtrauisch, weil er nie einen Versuch unternommen hatte, ihr persönlich näherzukommen. Er war amüsant und ein guter alter Freund der Familie, aber auch nicht mehr. Allein der Gedanke an eine nähere Bekanntschaft erfüllte sie mit Ablehnung. Beim Essen hatte er über gemeinsame Bekannte geplaudert und sie zum Lachen gebracht, um ihre Stimmung ein wenig aufzulockern. Dann plötzlich rückte er mit der Mitteilung heraus, Huntley Cameron brauche ihre Hilfe. Er, Eddi King, müsse nach Beirut fliegen, und sie solle ihn begleiten. Sie dürfe keine Fragen stellen und müsse ihm blindlings vertrauen – ihrem Onkel zuliebe. Dann hatte King sich vorgebeugt und war plötzlich nicht mehr der galante Begleiter bei einem unverfänglichen Lunch. Er war so ernst geworden, daß Elizabeth im ersten Augenblick erschrak.
»Aber ich kann doch nicht einfach in den Libanon fliegen, ohne irgend etwas darüber zu wissen!« Sie erinnerte sich noch genau an diese Worte und seinen überraschten Blick, mit dem er reagierte.
»Warum nicht? Haben Sie denn überhaupt kein Vertrauen, wenn Huntley Sie einmal braucht? Ist das zuviel verlangt? Nur eine kurze Reise von wenigen Tagen. Nichts Gefährliches oder Illegales, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Aber für Huntley bedeutet es sehr viel. Übrigens darf er nie wissen, daß ich Sie darum gebeten habe, auch dann nicht, wenn Sie nicht mitkommen. Das könnte alles ruinieren.«
»Aber es gibt doch nichts, was er nicht selbst in Ordnung bringen kann«, widersprach Elizabeth. »Er braucht nur mit dem Finger zu winken …«
»Diesmal nicht«, antwortete King, »diesmal muß er sich wirklich auf seine Freunde verlassen. Und auf Sie, meine Liebe. Diesmal ist er nicht fähig, sich selbst zu helfen. Ich reise am nächsten Dienstag ab. Überlegen Sie sich die Sache, und rufen Sie mich morgen früh an.«
Dann wechselte er das Thema und ließ sich nicht mehr bewegen, noch einmal darauf zurückzukommen. »Überlegen Sie sich die Sache, und geben Sie mir Bescheid.« Mehr wollte er nicht sagen.
Nachdem er sie an ihrer Wohnung in der 53. Straße Ost abgesetzt hatte, dachte sie darüber nach. Sie verdankte ihrem Onkel Huntley sehr viel. Nach dem Flugzeugunfall hatte er sie bei sich in Freemont aufgenommen, sie gegen alle Scherereien mit dem riesigen Vermögen ihres Vaters abgeschirmt, ihr in jeder Hinsicht geholfen, über den Schock hinwegzukommen. Er hatte ihr zwar persönlich keine Zeit gewidmet und kein Wort des Trostes gesagt, war aber auf seine Art nett und freundlich zu ihr gewesen. Und wenn ich wirklich reise, dachte Elizabeth, wer wird mich schon vermissen? Der plötzliche Entschluß zu einer solchen Reise bedeutete ja nicht mehr als die Absage einer Verabredung mit einem alten Bekannten, der nach seiner kürzlich erfolgten Scheidung gelangweilt die Verbindung zu früheren Freundinnen wiederaufnahm, ein paar Cocktailpartys, ein langweiliges Wohltätigkeitsessen, das sie unterstützt hatte. Sie konnte jederzeit ihre Sachen packen und weggehen, ohne jemandem zu fehlen. Selbst der Terrier, den sie sich vor sechs Monaten in einem Anfall von Niedergeschlagenheit gekauft hatte, war im Herbst eingegangen.
Sie wartete mit ihrer
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