Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Meuchelmord

Titel: Der Meuchelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
Vom Netzwerk:
gehorchte. Diese Unterwerfung gab ihr große Kraft, und die Kinder verwechselten sie in ihrer Vorstellung tatsächlich oft mit der liebevollen Mutter Gottes, deren Bild über ihrem Bett hing. Als er später, viele Jahre nach ihrem Tod, in die Geheimnisse menschlicher Verhaltensweisen eingeführt wurde, fragte sich Jameson oft, ob der Mutterkult seine Ursprünge nicht ebensosehr bei den Iren wie bei den Juden hatte.
    Er sprach mit den beiden Küstern am Haupteingang und dem Ordensbruder, der eine besondere Kollekte durchführte. Zuletzt ging Jameson zu den beiden Männern, die sich während der vergangenen Stunde im Hauptschiff aufgehalten hatten.
    »Alles in Ordnung?«
    »Harry hat vor einer Stunde die Seitenaltäre überprüft, ich habe die Beichtstühle durchgesehen«, antwortete der FBI-Agent. »Keine Fundgegenstände und niemand versteckt. Sind Sie zufrieden, Monsignore?«
    »Natürlich. Sie werden schon keine Bombe unter der Kanzel finden.« Das sollte scherzhaft klingen, aber keiner lächelte darüber. Jameson war leicht verärgert. Diese starren, grimmigen Gesichter gehören in einen Gangsterfilm und nicht in eine Kirche, dachte er.
    »Harry und ich bleiben bis zur Sechsuhrmesse morgen früh hier. Dann werden wir von zwei Kollegen abgelöst, die so lange Dienst machen, bis unsere Hauptgruppe zum Hochamt eintrifft.«
    Der Monsignore sagte: »Nach meiner Ansicht ist das alles Unsinn. In der St.-Patricks-Kathedrale selbst wird niemand etwas unternehmen. Ihr solltet uns lieber in Frieden lassen und euch auf den Festumzug konzentrieren.«
    »An dem Umzug nimmt keine der besonders gefährdeten Persönlichkeiten teil«, erklärte Harry. »Wer ein öffentliches Amt bekleidet, getraut sich ja nicht mehr auf die Straße. Sie müßten das am besten wissen. Als ich das letztemal hier Dienst tat, war es beim Requiem für Robert Kennedy.«
    Jameson ging noch einmal durch das lange Kirchenschiff. Er war todmüde, mußte aber noch die Predigt beim Kardinal abliefern.
    Martino Regazzi saß in seinem Arbeitszimmer und las einen Kriminalroman. Als sein Sekretär ihn zum erstenmal dabei ertappte, versuchte er den auf dem Kopf stehenden Titel zu entziffern. Regazzi hielt ihm das Buch hin und bemerkte, ›dieser Krimi sei längst nicht so gut wie der letzte.‹ Das war seine einzige Entspannung. In dieser Nacht waren seine Nerven angespannt, und er konnte keine Ruhe finden. Sein ganzer Körper hatte sozusagen Vollgas gegeben. Da brauchte er eine Stunde entspannende Lektüre, um wenigstens etwas Schlaf zu finden. Er legte das Buch beiseite.
    Die Müdigkeit des alten Mannes wäre ihm vielleicht nicht aufgefallen, auch nicht die krampfhaft gerunzelte Stirn mit dem pochenden Schmerz dahinter, aber der Sekretär ließ sich zu der Bemerkung hinreißen:
    »Eminenz, wenn Sie nicht schlafen gehen, werden Sie morgen keine Predigt halten. Ich sollte sie Ihnen eigentlich wegnehmen und morgen früh aushändigen.«
    »Lassen Sie nur, Patrick«, sagte der Kardinal, »ich stecke gerade mitten drin in einem prächtigen Krimi. Sehen Sie nur: Das Geheimnis von Boston. Morgen leihe ich Ihnen das Buch.«
    »Ich kann doch so etwas nicht lesen«, sagte Jameson und legte die Schreibmaschinenseiten auf den Tisch. »Ich kann weder Krimis noch geistliche Bücher lesen. Ich komme kaum noch dazu, die Zeitungen zu überfliegen. – Es ist alles fertig mit drei Kopien.«
    »Gut.« Regazzi nahm die erste Seite zur Hand. Wahrscheinlich hätte er die ganze Predigt durchgelesen, wenn sich Jameson nicht geräuspert hätte.
    »Haben Sie heute abend das Fernsehprogramm von N.B.C. gesehen, die Söhne von St. Patrick?« fragte Regazzi plötzlich.
    »Nein«, antwortete Jameson. »Ich hatte zu tun. War sie gut?«
    »Nein«, sagte der Kardinal, »eine Menge Quatsch. All die großen Politiker, die Millionäre, die alten Gangster. Die Kirche war mindestens durch vier Bischöfe und zwei Kardinale vertreten. Gott steh dem heiligen Patrick bei, wenn er nicht mehr aufzuweisen hat. Irgend jemand hat herausgefunden, daß John Jackson eine irische Urgroßmutter hat. Also war auch er kurz abgebildet. Eine sehr schlaue Propaganda. Auch sein morgiger Besuch. Wissen Sie, Patrick«, aus seinen schwarzen Augen blitzte der Zorn seiner sizilianischen Ahnen, »wissen Sie, wenn es nicht eine so großartige Gelegenheit zu einem persönlichen Angriff gegen ihn wäre, würde ich ihm meine Kirche verbieten.«
    »Er glaubt, daß er damit Stimmen fangen kann«, sagte der Sekretär. »Bei den

Weitere Kostenlose Bücher