Der Meuchelmord
zu erreichen.
Sie ging in die Küche und goß sich Kaffee ein. Seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr angerührt, aber trotzdem fehlte ihr der Appetit. Wenn sie jetzt etwas zu sich nahm, hörte vielleicht das unüberwindliche Zittern auf. Ihr Körper reagierte auf Müdigkeit und Hunger. »Ja, das muß sein«, sagte sich Elizabeth laut. »Ich bin hier in Sicherheit, niemand kann mich erreichen. Ich habe nichts zu befürchten.« Sie machte sich Rührei und zwang sogar den größten Teil der Mahlzeit hinunter. Jetzt geht es mir viel besser, redete sie sich ein.
Während sie am Tisch in der Küche saß und ihren Kaffee trank, mußte sie an jenen ersten Morgen denken, als sie Keller das Frühstück richtete. Die Waffeln hatten ihm nicht geschmeckt. In der Nacht zuvor konnte sie wegen der verwirrenden Ereignisse ringsum nicht schlafen und wurde wachgehalten von einem Instinkt, der sich als ebenso zutreffend erwies wie die Angst vor Eddi King. Für sie war der Augenblick der Wahrheit gekommen, als dieser Mann sie in einem Wutanfall küßte, nicht um sie zu verführen, sondern um sie zu strafen – um ihre Arroganz zu bestrafen und ihr die Lage klarzumachen. Mit all ihrem Geld und ihrer Bildung hatte sie einem richtigen Mann doch nichts zu bieten. Er hatte ihr gezeigt, wohin es führte, wenn sie ihn geringschätzig behandelte. Und er hatte sie gleichzeitig gezwungen, ihn schon von diesem Augenblick an zu lieben. Aber vielleicht war ihr die Liebe schon vorher begegnet, im Flugzeug. Schon lange vor der Nacht, als sie zum erstenmal in seinen Armen lag.
Sie waren zusammen rund um die halbe Welt nach Amerika gekommen, und zusammen würden sie das Land nun auch verlassen. Wahrscheinlich für immer. Von ihrem neuen Leben hatte sie noch keine rechte Vorstellung. Sie konnte es nur an den Maßstäben messen, die er während des kurzen Zusammenseins in ihrer Wohnung gesteckt hatte. Zum erstenmal in ihrem Leben war sie glücklich gewesen. Die Liebe war etwas Wunderbares – auch an jenem Nachmittag, als sie nebeneinander in dem schäbigen Hotelzimmer lagen und gerade über den Tod gesprochen hatten. Er hatte ihr die einzige Form der Freiheit geschenkt, die wirklich zählte: das Gefühl, ganz sie selbst zu sein und sich ohne Scham und Rückhalt hingeben zu können. Das bedeutete die wahre Emanzipation für ihr Geschlecht. Die Gleichberechtigung, die Bankkonten, die langwierigen Rangeleien im sogenannten Krieg der Geschlechter – das war alles nur Täuschung; ihre Freiheit war die echte. Die Liebe war eine Münze, die von der Gesellschaft abgewertet worden war. Sie bedeutete soviel mehr als nur den rein körperlichen Akt, bei dem es um die Leistung ging wie bei einem Motor. Was sie für Keller empfand und er für sie, ließ sich mit üblichen Begriffen nicht messen oder auch nur annähernd beschreiben. Es war einmalig, und es gehörte nur ihnen. Diese Liebe gab ihr den Mut, jetzt in ihrer Wohnung zu sitzen, obgleich sie wußte, daß eine andere Frau an ihrer Stelle gestorben war und daß immer noch der Mörder nach ihr suchte. Sie gab ihr die Kraft, ihre eigenen Wurzeln aus der Geborgenheit des amerikanischen Bodens zu ziehen und mit dem Mann, den sie liebte, ins Exil zu gehen.
Diese Kraft war stärker als all die Konventionen, in denen sie erzogen worden war, denn nach ihnen wäre ein Mensch, der bereit war zu töten, niemals der Liebe eines anderen wert gewesen. Das hatte sie ihm am Nachmittag gesagt, als sie weinte und beinahe verzweifelte, aus Angst, ihn zu verlieren. Es war ihr gleichgültig, wer er war und was er getan hatte.
Sie würde ihn auch dann begleiten, wenn er morgen seine Pistole abdrückte und trotzdem eine Möglichkeit fand, zum Flugplatz zu kommen.
So einfach war das. Genauso urgewaltig und unvermeidbar wie das Zusammentreffen des ersten Mannes und der ersten Frau, die einander dem Gesetz zum Trotz liebten.
Die Patricks-Kathedrale wurde um zehn Uhr abends geschlossen. Um 21 Uhr 50 hielten sich immer noch einige Gläubige in der Kirche auf und übersahen die Versuche der Ordner, sie hinauszudrängen. Die Lampen im Hauptschiff wurden gelöscht. Die Seitentüren, mit Ausnahme des Ausgangs zur Madison Avenue, waren bereits verschlossen. Monsignore Jameson war seit sechs Uhr morgens auf den Beinen. Er hatte nicht einmal für sein Mittagsschläfchen, das er in seinem Alter so dringend nötig hatte, Zeit gefunden. Den größten Teil des Nachmittags hatte er beim Kardinal verbracht und zusammen mit ihm die letzte
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