Der Meuchelmord
Stadt irgendwie aufgehalten werden konnte. Die U-Bahn-Strecke hatte er auswendig gelernt. Um 9 Uhr 15 betrat er ein Selbstbedienungscafé, nur einen Häuserblock von der Kathedrale entfernt. Er war hungrig, aber bei dem Gedanken an ham and eggs streikte sein Magen. Beim Anblick des süßen rosaroten amerikanischen Schinkens am Nebentisch wäre ihm fast schlecht geworden. Er trank den Kaffee, der für seine Begriffe dünn war, und aß dazu ein Stück Gebäck. Am Ende der langen Theke stand an einer Tür ›Toilette‹. Eine Kellnerin, die schmutzige Tassen abräumte, erklärte ihm den Weg zur Herrentoilette. Er versteckte sein Paket hinter dem Kasten der Wasserspülung. Für höchstens zwei Stunden war das ein halbwegs sicheres Versteck. Dann setzte er sich wieder und trank seinen Kaffee aus. Er hätte das Geld auch zurückgelassen oder unterwegs in eine Mülltonne schieben können. Aber zuerst sollten die anderen zu Kreuze kriechen. Das Geld war Bestandteil einer Abmachung, die sie bereits gebrochen hatten. Aber diesen Teil sollten sie halten. Er war dafür bezahlt worden, daß er einen Mann tötete, und genau das hatte er auch vor. Berufskiller haben ihren Stolz. Der Söldner kämpft für seine Arbeitgeber ebenso verbittert wie der Patriot, weil er sonst schon bald seinen Job verliert. Ein Mörder nimmt sein Honorar und tötet dafür vertragsgemäß. Auch unter Gangstern gibt es ungeschriebene Gesetze. Es ist unklug, dagegen zu verstoßen, weil solche Leute sehr unangenehm werden können.
Keller hatte sich eine Zeitung gekauft. Auf der Titelseite prangte ein großes Foto von John Jackson. Es war ein billiges Sensationsblättchen mit schreienden Untertiteln. Er las sie erst gar nicht, weil sie ihm doch nichts sagten. Statt dessen betrachtete er Jacksons Foto. Er hatte sich alles genau überlegt und seine Gefühle wegen Souhas Tod verdrängt; er versuchte sich selbst einzureden, daß sein Vorhaben ein für allemal ihren Plan zunichte machen würde, der den Tod des Kardinals vorsah. Auch er war in der Zeitung abgebildet, kleiner als der Präsidentschaftskandidat, und sogar das Revolverblatt bezeichnete ihn als einen Freund der Armen und einen Vorkämpfer für die Rechte der Farbigen. Als Elizabeth ihm klarmachte, daß er für die Kommunisten arbeite, hatte er den wahren Sinn dieser Worte nicht verstanden. Für ihn war das nur die Bezeichnung für eine andere Art von Profis, für Politiker, habgierig und brutal. Keller wußte vom Kommunismus nur so viel, wie er in Dien Bien Phu gesehen hatte, und das machte keinen großen Eindruck auf ihn. Die kleinen Fische waren Kanonenfutter. Der Ruf nach weltweiter Brüderlichkeit klingt besonders hohl und leer, wenn dabei gleichzeitig einem anderen Menschen das Bajonett in den Bauch gerannt wird. Kommunisten waren für ihn genau wie alle anderen: Sie verbreiteten das übliche Opium für die Armen und Unterdrückten, damit diese sich schön ruhig verhielten. Alle Schätze der Welt sollten bald ihnen gehören, vorausgesetzt, sie kamen nicht auf den Gedanken, selbst danach zu greifen.
Keller haßte jede Form der Organisation. Nach seiner Überzeugung bestanden sie nur zum Vorteil jener an der Spitze. Die Kommunisten redeten zwar davon, daß sie das Volk repräsentierten, aber sie schickten immer noch, genau wie alle anderen, Panzer gegen das Volk, um es im Zaum zu halten. Keller empfand gegenüber dem Kommunismus genauso viel und genauso wenig wie gegenüber jeder anderen Ideologie, sei sie nun weltlich oder religiös. Er mißtraute allen. Wenn diese Leute es ehrlich meinten, hätte ein Mann wie Kardinal Regazzi Ehrenmitglied werden müssen. Aber sie wollten ihn töten, weil er zur anderen Seite gehörte. Amerika sollte einen intoleranten Präsidenten bekommen, weil das Blutvergießen und Elend eines Bürgerkrieges ihren politischen Absichten entgegenkam. Das also ist ihr verdammter Kreuzzug, dachte er erbittert. Eine Million Menschenleben bedeuten ihnen nicht mehr als das Leben eines jungen arabischen Mädchens, das auf ihre Anordnung hin erdrosselt wurde. Aber wegen dieses einen Mordes würde nun ein Mensch, der ebenso entbehrlich war wie Souha und ihresgleichen, den weltweiten Plan von King und Konsorten durchkreuzen. Die Flüchtlinge des zwanzigsten Jahrhunderts waren das Kanonenfutter, die lebenden Zielscheiben, die ersten Opfer in jedem Krieg, den sie nicht angezettelt hatten.
John Jackson sollte niemals Präsident der Vereinigten Staaten werden, es sollte zu keinem
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