Der mieseste Liebhaber der Welt
zu ihr hinunter (ich war ein Stück größer als Gitta), und
sie kam mir die entscheidenden zehn Prozent der Strecke entgegen, die einen Kuss zu einem gemeinsamen Projekt machen. In der
nächsten halben Stunde küsste ich Gitta mit intensiver Inbrunst. Es war ganz anders, als ich es mir in meinen Träumen ausgemalt
hatte. Kein bisschen sexuell, um ehrlich zu sein. Mein treuer Begleiter, die Erektion, ließ mich im Stich, aber das war okay,
vermutlich war ich sowieso viel zu aufgewühlt, um mich auch noch
damit
zu beschäftigen. Wir küssten uns langsam und ausdauernd, leckten und bissen uns spielerisch in die Lippen, schauten uns dabei
an und schlossen die Augen wieder, es war wie ein Tanz, auf den wir uns lange vorbereitet hatten.
Wir sprachen in dieser halben Stunde kein Wort, und das war auch das Beste, was wir tun konnten, denn als ich dann unser schweigendes
Einverständnis brach, war der Zauber vorbei. DJ Holger spielte »Lady Fantasy« von Camel, und ich fragte einfach nur: »Und
was machen wir jetzt
damit
?« Das sollte wohl cool klingen, abgeklärt, ich weiß es nicht so genau, ich hatte doch selbst keine realistische Idee, wozu
das hier führen sollte, aber vermutlich kam es bei Gitta anders an, fordernd, nassforsch. Sie zuckte kurz zurück und dann
warf sie mir wieder diesen Blick zu, in dem zwar immer noch Wohlwollen, aber auch ein bisschen Spott und wieder diese Distanz
lagen, die klarmachten, wer hier das Sagen hatte. Gitta, nun wieder meine Deutschlehrerin, umarmte mich noch einmal kurz und
sagte:
»Markus, ich muss jetzt nach Hause, sei mir nicht böse.« Dann drehte sie sich schnell um und verschwand Richtung Ausgang.
Ich hielt diese »Flucht« für ein gutes Zeichen und folgte ihr nicht. Offenbar hegte sie gewisse Gefühle für mich und verschanzte
sich bloß hinter dem letzten Rest von Verantwortungsgefühl. (Schließlich wussten wir ja aus dem letzten Tatort mit Nastassja
Kinski, was dabei herauskommt, wenn Lehrer und Schüler sich miteinander einlassen.) Ich hoffte, dass die Zeit von nun an für
mich laufen würde.
Ich wartete noch zwei, drei Stücke ab, es war kurz vor eins. Dann verließ ich den »Dschungel« und hatte keine Ahnung, wie
ich es von hier aus nach Hause schaffen sollte. Es wurde ein sehr, sehr langer Weg zurück.
Es war ein kalter, windiger Montagnachmittag, als ich Maria den Lederrock mit einem einzigen Ruck vom Körper riss und über
sie herfiel, als wolle ich sie für irgendwas bestrafen. Anschließend heulten wir beide und hielten uns im Arm, und ich wusste,
dass ich jetzt irgendwas unternehmen musste. So konnte das nicht weitergehen. Ich schämte mich entsetzlich(und ein Teil von mir freute sich sogar darüber, dass
das
immerhin noch möglich war). Bald würde auch Maria gar keine andere Chance mehr haben, als mich zu hassen, ich selbst hatte
ja schon Probleme, es nicht die ganzen 24 Stunden des Tages zu tun. Das hier war längst aus dem Ruder gelaufen. Ich versicherte Maria, wie leid mir das alles tue, und
dann erzählte ich ihr endlich, was in den letzten Monaten mit mir los gewesen war. Sie weinte nicht mehr und sagte, es sei
wohl das Beste, wenn wir uns nicht mehr sehen würden, und damit hatte sie sicher Recht. Ich nahm sie zum Abschied in den Arm.
Sie wehrte sich nicht, sie lächelte mich sogar kurz an, nachdem sie ihre dichte schwarze Mähne mit beiden Händen hinter ihre
Ohren gesteckt hatte, und streifte mich mit einem traurigen, fast mitleidigen Blick. Zum ersten Mal seit langer Zeit empfand
ich nichts als bedingungslose Zuneigung und Freundschaft für sie. Ich hoffte, dass sich das alles irgendwann reparieren ließe.
Dann ging ich nach Hause und rief Gitta an.
»Können wir uns sehen, bitte«, begann ich das Telefonat, denn bei meinen letzten Versuchen war ich nicht viel weiter als bis
zu meinem Namen vorgedrungen, bis sie aufgelegt hatte, und in der Schule verhinderte sie schon seit längerer Zeit, dass wir
uns irgendwo alleine trafen.
»Gitta, hör mich an, ich
muss
mit dir reden!«
»Markus, bitte, wir
haben
doch schon geredet, mehr als ein Mal.«
»Bitte, Gitta, ein Mal nur noch, bitte …«
Ich flehte sie an. (Ich sah Woody Allen vor mir, wie er im ›Stadtneurotiker‹ Diane Keaton am Telefon zusetzte. Ich hoffte,
ich würde nicht ganz so einen jämmerlichen Eindruck machen, aber ich ahnte, dass meine Chancen nicht gut standen.)
»Ich kann gleich zu dir kommen, wenn du möchtest, kein
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