Der mieseste Liebhaber der Welt
Problem, ich mache auch keine Schwierigkeiten. Ich möchtenur noch
ein Mal
mit dir reden, es ist wichtig. Danach lasse ich dich in Ruhe, wirklich.«
Am anderen Ende der Leitung nahm Gitta einen tiefen Zug an ihrer Zigarette.
»Okay, dann komm nach Aachen.«
»In den ›Dschungel‹?«, fragte ich ungläubig. Das war jetzt, nach den Vorfällen der letzten Wochen, fast zu einfach gewesen.
»Nein, nicht in den ›Dschungel‹. Komm zu mir nach Hause. Oppenhoffallee 124. So gegen acht, halb neun. Kannst du das schaffen?«
Wie eine Einladung zu einem romantischen Dinner hörte sich das nicht an. Aber ich fragte besser nicht nach.
»Einverstanden, das kriege ich hin. Ich werde da sein.«
»Und, Markus? Egal, wie das gleich läuft – wirst du dich damit zufriedengeben? Hört es dann auf? Bitte?!«
Ich nickte verschämt, was am Telefon allerdings nicht unbedingt den gewünschten Effekt erzielte, und drückte auf die Telefongabel.
Heute Abend also. Danach würde ich frei sein, so oder so. Ganz sicher. Vermutlich. Hoffte ich.
In den ersten Tagen nach
unserem
Abend im »Dschungel« war ich in Hochstimmung gewesen. Ich platzte beinahe vor Verlangen, der ganzen Welt von uns zu erzählen,
doch ich wusste, was das für mich und vor allem für Gitta bedeutethätte. Ich musste meinen Mund halten, und wenn ich innerlich
noch so sehr darauf brannte, die ganze Welt an unserem Glück teilhaben zu lassen. Im Unterricht ließ sich Gitta nichts anmerken.
Selbst wenn ich sie mit ihrem Namen ansprach und mich bemühte, dabei eine gewisse Ironie mitschwingen zu lassen, flatterte
»Frau Herrmanns« nicht einmal verschwörerisch mit den Augen oder berührte mich im Vorbeigehen wie zufällig am Arm. Ein kleines
konspiratives Zeichen der Zusammengehörigkeit hätte mir ja schon gereicht,aber da kam nichts, gar nichts. Nach dem Unterricht hatte sie plötzlich keine Zeit mehr, länger zu bleiben. Nachdem drei Wochen
vergangen waren, ohne dass es zwischen mir und Gitta außerhalb des Unterrichts auch nur zu einem kurzen Gespräch gekommen
wäre, wurde ich ungeduldig und stellte sie nach der Schule an den Lehrerparkplätzen zur Rede. Allerdings war von meiner neu
entdeckten Eloquenz des Woody-Allen-Abends wenig übrig geblieben. Man kann nicht behaupten, dass Gitta mich kalt
abblitzen
ließ. Im Gegenteil, sie nahm sich Zeit und behandelte mich wie einen Freund. (Oder einen kleinen Bruder?) Jedenfalls blieb
sie an diesem Tag und auch noch bei den anderen drei, vier Gelegenheiten, an denen ich ihr auflauerte, freundlich und wiederholte
ihren Standpunkt immer wieder aufs Neue geduldig. Ein Musterbeispiel angewandter Sonderpädagogik, vorgetragen im sanften Tonfall
einer Frau, die ihre Stimmbänder mit Honig salbt. (Ich hätte kotzen können.)
Sie schätze mich, als Schüler und als jemand, der ihr persönlich ans Herz gewachsen sei. Dass sie diesen Abend allerdings
und seinen Verlauf bedaure, sie sei schließlich meine Lehrerin (aber auch nur ein Mensch) , und es sei unverzeihlich, diese formale Distanz nicht respektiert zu haben, zudem sei sie ja auch gebunden, irgendwie. Ich
solle den Abend als Geschenk von uns beiden füreinander auffassen, aber auch als einmaligen Ausrutscher, der nicht wieder
vorkommen dürfe – und werde.
Sie versuchte es wirklich mit einer Menge Worten (und einem glaubwürdig schlechten Gewissen), aber bei mir kam die Botschaft
einfach nicht an. Es ist eben schwierig, einem verliebten Teenager klarzumachen, dass ein paar flüchtige Küsse nach einem
langen Abend nicht unbedingt bedeuten, dass man schon mal nach einer Band für den Polterabend Ausschau halten sollte. Ich
wollte einfach nicht wahrhaben, dass Gitta nicht so fühlte wie ich.
In den Wochen nach unseren »Aussprachen« verhielt ich mich wie ein Idiot. Ich provozierte Gitta im Unterricht mit spitzen
Bemerkungen und blöden Fragen, ich kritisierte alles, was sie vortrug, und rief sie dann nachmittags an, um mich kleinlaut
zu entschuldigen. Ich ging zwei Wochen gar nicht mehr in den Leistungskurs, und als sie darauf nicht reagierte (wie auch?),
änderte ich meine Strategie und kniete mich ein paar Wochen in den Unterricht, als wolle ich noch in diesem Schuljahr einen
Doktorgrad in Germanistik erwerben. Ich versuchte es mit einem neuen Haarschnitt (einer Glatze) und Kajalstift um die Augen,
und ich schrieb ihr sogar ein langes Gedicht in Hexametern (mit Hebungsprall). Ohne den erwünschten Effekt. Ich
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