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Der mieseste Liebhaber der Welt

Der mieseste Liebhaber der Welt

Titel: Der mieseste Liebhaber der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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agierte in
     diesen Tagen mit der ziellosen Streuung eines Schrotgewehrs, jeden Tag ein neues lautes Getöse ohne große Effekte. Egal, was
     ich anstellte – Gitta blieb auf eine freundliche Weise indifferent. Aus meiner aktionistischen Verzweiflung wurde langsam
     stille Wut.
    Maria war der einzige Mensch, den ich in dieser Zeit um mich herum ertrug. Sie merkte, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte,
     aber Maria gehörte nicht zu den Mädchen, die nachbohrten. Wir hingen miteinander rum, hörten Musik (Punk), gingen ins Kino
     (u.   a. mehrmals ›Der Stadtneurotiker‹) und unternahmen lange abendliche Spaziergänge am Fluss. Wir schwiegen und hingen unseren
     Gedanken nach. Ich küsste sie immer häufiger, völlig unvermittelt, es waren kleine Angriffe aus dem Hinterhalt. (So stelle
     ich mir den Job von Heckenschützen vor.) Es waren keine harmlosen, neugierigen Knutschereien mehr, in die wir vorher einige
     Male hineingeraten waren wie in einen sommerlichen Platzregen, sondern ich küsste sie nun mit fiebriger Energie und einer
     manischen Wucht, die mir selbst unheimlich war. Manchmal sah ich ein unsicheres Flackern in Marias Augen. Sie war nicht sicher,
     was das alles bedeutete, aber da waren wir schon zwei. Ich wusste nur, dass ich mich an Mariaklammerte wie an einen Rettungsring auf hoher See, und dass ich mich nach diesen
Zwischenfällen
am liebsten selbst geschlagen hätte. Doch ich konnte nicht anders. Je mehr ich unter Gittas Zurückweisung litt, umso intensiver
     bedrängte ich Maria. Nach einer dieser langen Wanderungen am Fluss lagen wir auf unseren Jacken im Gras, als ich nach ein
     paar groben Küssen in einem Furor aus Lust und Aggression zum ersten Mal mit Maria schlief, überhaupt mit einer Frau. Ohne
     alles: ohne Kondom, ohne Rücksicht, ohne Liebe. Das war der Auftakt einer ungesunden Beziehung, die schon bald jede Leichtigkeit
     und von meiner Seite selbst ein Minimum an freundlicher Zuwendung verlor. Ich besetzte Maria wie eine Kolonie. Ich schlief
     immer wieder mit ihr und fühlte mich gleich anschließend wie Rübezahl, und dafür strafte ich sie mit kalter Zurückweisung,
     bis ich mich aus Einsamkeit wieder bei ihr sehen ließ und alles wieder von vorn begann. Ich suchte so lange, bis ich einen
     dieser Lederröcke auftrieb, die ich an Gitta so verführerisch fand, und schenkte ihn Maria. Das war nicht unbedingt ihr Stil,
     das wusste ich, doch ich verlangte trotzdem von ihr, dass sie den Rock trug und ein paar Stiefel dazu. Ich wollte damals nicht
     darüber nachdenken, warum Maria sich das alles gefallen ließ, und heute, wo ich es weiß, würde ich die Zeit gern zurückdrehen.
     
    »Komm hoch, es ist im zweiten Stock.«
    In der Gegensprechanlage klickte es, dann ertönte der Türsummer.
    Ich drückte die Tür auf und trat in den hohen Flur des großbürgerlichen Altbaus, in dem Gitta mit ein paar Freunden lebte.
     Dann rekapitulierte ich alle wichtigen Punkte, die ich Gitta sagen wollte, so wie ein Skirennfahrer, der vor dem Start mit
     geschlossenen Augen schon einmal die Strecke abfährt. Ich weiß nicht genau, was mich so zuversichtlich stimmte an diesem Montag,
     an dem ich Maria verlor, dochich hatte wirklich das Gefühl, als ob ein neuer Geist von mir Besitz ergreifen würde. Ich fühlte mich der ganzen Situation
     plötzlich gewachsen, vielleicht schätzte ich auch den Umstand falsch ein, dass Gitta mich bereitwillig – und zum ersten Mal
     überhaupt – zu sich nach Hause eingeladen hatte. Sollte meine Hartnäckigkeit sie doch langsam zermürbt haben, fielen ihre
     Schutzmauern in sich zusammen? Einen Trumpf hatte ich noch im Ärmel, neben all meinen Liebesschwüren (die kannte sie ja schon).
     Ich wollte ihr anbieten, die Schule zu wechseln. Um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen und um zu zeigen, wie ernst es
     mir mit unserer Liebewar. Das sollte meine Vernunft, meinen Altruismus und meine Reife zum Ausdruck bringen. Ich hatte die
     Absicht, um mein Leben zu reden.
     
    »Hey, schön dich zu sehen!«
    Ich begrüßte Gitta mit einem Kuss auf die Wange, den sie erwiderte. Sie führte mich in eine große Wohnküche und wir setzten
     uns an einen groben Holztisch, auf dem allerlei Zeitungen herumlagen. Gitta hatte uns einen Kaffee vorbereitet.
    »Schön habt ihr’s hier!«, sagte ich, aber das war ein Reflex, denn ich hatte mich noch gar nicht richtig umgesehen, dazu war
     ich dann doch zu nervös. Aber ich erwähne diesen Satz trotzdem ganz bewusst, denn es

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