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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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fragt: Warum ein solcher Mensch dann überhaupt noch im Krankenhaus liegt, warum er nicht schon längst wieder im Amt ist – dann also wieder ein gezeichneter und gebrechlicher Ton. Und so weiter.
    Hannah bereitete Mikrophone vor. Sie schaute mich an – wie eine Schulfreundin schauen würde, eine Schulfreundin vor einer endlosen Hausaufgabe. Während draußen die Sonne schien.
    Als ich das nächste Mal zu ihr kam, saß sie auf einem Balkon vor ihrem Studio. Zuerst sah ich nur ihre Hand. Sie hielt ein Buch in ihrer Hand. Dann sah ich ihr Gesicht. Sie saß sonnenbadend, im Schatten eines Busches. Sie winkte. Dann verschwand sie im Studio. Als sie mir öffnete, trug sie eine Hose und ein T-Shirt. Als hätte sie sich in aller Eile angezogen. So sah sie aus. Sie entschuldigte sich und sagte: Es tut mir leid.
    Dann wieder stundenlanges Sprechen der ersten Sätze der Rede, die von März immer wieder verworfen und umformuliert wurden, erste behutsame Worte an die Öffentlichkeit. Allein nur die Frage, ob ich liege oder sitze oder stehe oder bin. März entschied: Ich bin. Ich hatte einen Autounfall und ich bin … März suchte nach Worten: Ich bin … am Leben. Warum soll man das nicht aussprechen, so März. Ich bin am Leben. Am Leben und … – März erwog Wörter wie: dankbar, überwältigt, zuversichtlich, berührt, getragen – getragen von Freunden und Einsichten. Einsichten, die man später noch einfügen würde. Ich bin … Meine Gedanken sind … bei den Bürgern, bei den Aufgaben und Herausforderungen unseres Landes. Ich bin … Ich bin nachdenklich, ich bin bemüht und entschlossen – und im ständigen Gespräch mit Beratern und Ministern und politischen Freunden, auch mit nichtpolitischen Freunden, zum Beispiel mit einem Geistlichen … oder besser noch mit einem Philosophen, vielleicht aus Hamburg – Hamburg als Hinweis auf einen neuen Ton in einer neuen Sprache: gelassener, freundlicher, norddeutscher, hanseatischer, maritimer … Und vieles mehr.
    Ich bin informiert, ich bin auf dem Laufenden und verheiratet und dankbar und gelassen und getragen und nachdenklich und hanseatisch und bemüht … Ich bin Ministerpräsident, ich bin Deutschland, ich bin entschlossen, ich bin fit, ich bin bereit und am Leben …
    März telefonierte, während ich weitersprach und dabei Hannahs Gesicht betrachtete, ihr Erstaunen und ein leichtes Lächeln sah, während März abwinkte und aufstand und telefonierte. Ich hätte mich überanstrengt. So März in einer sich überschlagenden Stimme. Mir sei unwohl. Man möge einen Arzt schicken.
    Ich hatte noch den Balkon vor Augen und Hannah auf dem Balkon. Wie sie sich dort sonnte. Als wäre das alles nicht der Rede wert. Das Tonstudio, die Sprechaufnahmen und ihre immer länger andauernden Blicke.
    Ich wurde in mein Zimmer gebracht.
    Was er, März, sich dabei gedacht habe, so Frau Wolkenbauer. Man könne mich nicht einfach in ein Tonstudio bringen und dort stundenlang arbeiten lassen. Das sei gegen jede Abmachung. Er, März, gefährde meine Gesundheit. Das sei ein Krankenhaus und kein Staatsministerium. Oder eine Radiostation. Er missachte ihren dringenden Rat. Er setze sich einfach darüber hinweg …
    Es handle sich um eine wichtige Rede, so März. Um eine Grundsatzrede.
    Dass das nicht gehe. Mich der Behandlung der Klinik einfach zu entziehen. Mich politisch wieder arbeiten zu lassen. Ohne Absprache mit den Ärzten.
    März sagte, es könnte mir vielleicht guttun.
    Guttun?
    März: Jawohl, guttun.
    Frau Wolkenbauer sprach von unwägbaren Gefahren und Risiken. Sie listete gewaltige Wörter auf, die daraus folgen könnten: Krankheitswörter, Rückfallwörter, Verschlimmerungswörter … Falls ihn das überhaupt interessiere. Sie sagte, dass das unverantwortlich sei, dass das so nicht weitergehe, dass sie sich im Übrigen frage, warum er, wenn ihm der bevorstehende Wahlkampf derart wichtig sei, warum er dann mit aller Macht an einem Kandidaten festhalte, der in keiner Weise arbeitsfähig sei. Warum er sich für seinen Wahlkampf keinen anderen Kandidaten suche?
    März: Wie das gehen solle?
    Wolkenbauer: Indem man einfach einen anderen Kandidaten suche. Ob das so schwer sei?
    Wie sie sich das vorstelle, so März. Kurz vor Beginn des Wahlkampfes den Spitzenkandidaten aufzugeben. Nicht irgendeinen Kandidaten, sondern den amtierenden Ministerpräsidenten. Ich sei ein politischer Begriff, ein Inbild der Vertrautheit und Unverrückbarkeit, eine Portalfigur, ein Fixpunkt und noch vieles

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