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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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ablenkender Bewegungen die Bewegungen meines Beines irgendwie tarnen könnte. Wie in der Zauberei.
    Man sprach das über mich und mein Bett hinweg. Gleich einem Tischtennisspiel. Vorschlag auf Vorschlag. Und andere Schläge. Und März, der ungehalten war, sagte, er sagte es mehr zu Frau Caillieux als zu mir: Welch ein Rattenschwanz von Problemen sich allein durch mein lädiertes Bein ergeben habe. Wie man unter solchen Bedingungen vernünftig Wahlkampf führen könne … Während Frau Caillieux die Gehfrage zum Anlass für ein gänzlich neues Paradigma von Wahlkampf nahm. Jenseits aller vertrauten Bewegungen und Bilder. Ein völliger Wechsel. Es gehe darum, mich in ein neuartiges Bild zu tauchen, in das Bild eines wiedergenesenen Ministerpräsidenten, der gar nicht mehr geht, sondern womöglich mit dem Fahrrad fährt. März winkte ab, doch Frau Caillieux blieb dabei: Ein Ministerpräsident, der auf einem Fahrrad in den Parteitag fährt, von der Straße kommend über eine Rampe im Wiegetritt auf die Bühne hinauf – direkt zum Rednerpult. Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident – und schon ist er da, auf einem Fahrrad, von dem er nun absteigt. Die anschließende Rede sei angesichts eines solchen Bildes kaum mehr von Bedeutung. Eine Formalität. Eine Nachbetrachtung.
    Vorschläge.
    März sagte, er werde das prüfen lassen. Er fragte: Ob ich überhaupt Fahrrad fahren könne? Ich wusste es nicht. Ich solle es ausprobieren. Er werde Fahrräder holen lassen, so März, um das zu überprüfen. Er wirkte gereizt angesichts ständig neuer Überlegungen zu der Rahmenhandlung des Parteitags – von der eigentlichen Rede ganz zu schweigen. Am nächsten Morgen rief er mich zu einem Hintereingang der Klinik. Dort stand ein Lieferwagen. Er, März, habe Fahrräder bringen lassen. Um das auszuprobieren, ob ich ernsthaft mit einem Fahrrad in den Parteitag fahren könnte. Nur ein Versuch, so März. Ein Fahrradexperte werde uns beraten. Der Experte saß bereits auf einem der zahlreichen Fahrräder, die er mitgebracht hatte. Er fuhr um uns herum, ohne abzusteigen. Seine Beine steckten in Klickpedalen. März sagte, das sei Walter. Ein ehemaliger Rennfahrer und Trainer des örtlichen Radvereins. Er, Walter, er werde uns einige Räder zeigen. Und er werde mit mir – gegebenenfalls – Probefahrten unternehmen. Walter grüßte mit einem einzigen Finger. Ein Gruß so beiläufig, so als wäre er schon seit Stunden mit seinem Fahrrad unterwegs.
    Die Frage, mit welcher Art von Fahrrad ich fahren sollte: Stadtfahrrad? Tourenrad? Oder Rennrad? Unbedingt mit einem Rennrad, so Walter. Je untrainierter man sei, desto mehr rate er zu einem Rennrad. Allein aufgrund dessen Leichtigkeit. Und er holte aus dem Inneren des Wagens einige Rennräder hervor, deren italienische Namen er andächtig aussprach: Bianchi, Simonelli … Manche Räder hob er eigenhändig in die Luft – und schob sie mir dann zu. Heben Sie mal, Herr Ministerpräsident. Als ich das Rad hob, erschrak ich über dessen Leichtigkeit. Als hätte ich meinen Gehstock in die Höhe gehalten. Und dies sei nur der Anfang, so Walter. Nur der Anfang.
    Als März in leisen Worten von meinen Gelenkproblemen sprach, antwortete Walter: Es gibt auf Rennrädern keine Gelenkprobleme. Es gibt auf Rennrädern überhaupt keine menschlichen Probleme. Es herrscht dort Leichtigkeit und Bewegung und Frieden … Und er stieg auf ein Rennrad, fuhr einige Runden, bog um die Ecke und war für Minuten nicht mehr zu sehen. Als er wieder zurückkam, sagte er: Nur eine Testfahrt. Eine kleine Testfahrt.
    März wurde ungeduldig. Die Rede, der Wahlkampf und all die anderen Aufgaben. Ob man baldmöglichst eine Probefahrt mit mir machen könne? Um Klarheit zu gewinnen, ob ich mich – nach meinem Unfall – überhaupt auf einem Fahrrad halten könne. Ob ich eine Schaltung bedienen könne und kleinere Auffahrten hochkäme. Nur darum gehe es.
    Aber natürlich, sagte Walter. Er reichte eine Tasche mit Ausrüstungsgegenständen. Ich sollte mich umziehen: Trikot, Sonnenbrille, Handschuhe, Rennschuhe … Ob das nicht übertrieben sei? So März. Doch für Frau Caillieux waren diese Accessoires Zeichen von Zuversicht und Gesundheit.
    Auf den ersten Metern war das Fahrrad kaum zu lenken. Es reagierte schlagartig, selbst auf die kleinste Bewegung, in ruckartigen Sätzen, wie ein nervöses Pferd. Man konnte es nicht beruhigen. März musste mich stützen – und irgendwann loslassen. Dann fuhren wir – Walter und ich –

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