Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
Vom Netzwerk:
fügte er sich in Unvermeidliches? Ich antwortete: Eigentlich immer. Das ganze Leben schien ihm unvermeidlich.
    Als ich zu Hannah kam, sagte sie, sie wolle hinaus, raus aus dem Dunkel des Tonstudios, hinaus auf den Balkon, um ein wenig in der Sonne zu sitzen. Es war weniger ein Sitzen als ein gemeinsames Lehnen. Wir lehnten uns an die Wand. Sie sagte: Wir können das auch noch später aufzeichnen. Oder draußen aufzeichnen. Sie nahm ein Aufnahmegerät mit auf den Balkon. Wir waren immer noch bei der Aufzeichnung einzelner Wörter oder halber Sätze. Sie hielt mir das Mikrophon entgegen. Wie eine eifrig wartende Reporterin. Ich sollte Wörter sprechen wie: innere Einkehr, neuartige Einsichten, Hinwendung und Natur. Sie lächelte mich an, wenn ich ein Wort besonders gut gesprochen hatte. Zum Beispiel das Wort Natur. Ihr gefiel es, wie ich dieses Wort sprach. Natur, Natur, Natur. Oder das Wort Wahlkampf. Der Wahlkampf. Ein langer und schwieriger Wahlkampf … Und ich erzählte ihr, was ich gedacht hatte, als ich das Wort Wahlkampf zum ersten Mal gehört hatte. Ich hatte an Wale gedacht. Zwei Wale, die aufeinander zuschwimmen und sich bekämpfen. Und Hannah fragte: Ob ich das schon vor dem Unfall oder erst nach dem Unfall gedacht hätte? Und ich antwortete: Wahrscheinlich erst nach dem Unfall. Denn ich wusste kaum, was ich vor dem Unfall alles gedacht hatte – zumindest als Ministerpräsident gedacht hatte. Und Hannah fragte: Ob das nicht schlimm sei? Nicht zu wissen, was man als Ministerpräsident früher einmal gedacht hatte? Und ich antwortete: Eigentlich nein. Und sie stimmte mir zu: Vielleicht sei das in der Tat gar nicht so schlimm.
    März fragte Frau Wolkenbauer nun um Erlaubnis: Ob Walter mit mir einige Trainingsfahrten unternehmen dürfe? Was sind das für Trainingsfahrten? fragte Frau Wolkenbauer. Nur ganz kurze Ausfahrten. So März. Eine Art Grundlagentraining. So März. Das habe Walter ihm versichert. Frau Wolkenbauer: Ob ich nicht genauso gut auf einem Ergometer in der Klinik trainieren könnte? Dass das nicht gehe, so März, dass ich während des Wahlkampfes tatsächlich auf einem Fahrrad sitzen müsse, dass ich bei dem Sonderparteitag mit dem Fahrrad sogar eine steile Rampe hochfahren müsse. Dass Walter das mit mir trainieren wolle. Frau Wolkenbauer sagte: Sie könne die Verantwortung für derlei Ausfahrten nicht übernehmen. Und März antwortete: Sie müsse gar keine Verantwortung übernehmen. Er bitte sie lediglich um Erlaubnis. Und Frau Wolkenbauer entgegnete: Sie könne ihm die Erlaubnis nicht erteilen. Und März erklärte ihr, dass der gesamte Wahlkampf von meiner gereiften Fähigkeit abhänge, überzeugend auf einem Fahrrad zu sitzen. Für Frau Wolkenbauer eine Lächerlichkeit.
    Er verdeutlichte ihr, was von der Wahl alles abhänge, nicht nur für die Partei, sondern für das ganze Land. Es gehe um zweihunderttausend Arbeitsplätze. Er sagte das in einem heiligen Ernst. Zweihunderttausend Arbeitsplätze! Frau Wolkenbauer antwortete: Sie könne nicht ersehen, wie man durch meine Radfahrerei irgendeinen Arbeitsplatz retten könnte.
    März stand sprachlos. Dass sie das nicht ermessen könne. Was ein Wahlkampf sei. Was zweihunderttausend Arbeitsplätze seien. Zweihunderttausend. Ich sollte das im Tonstudio immer wieder sprechen. Allein diese Zahl. Zweihunderttausend. Nüchtern gesprochen, sachlich gesprochen, dann wieder in einem erstickten Ton. Zweihunderttausend. Und noch einmal. Mit weinerlicher Stimme gesprochen. Zweihunderttausend. Diesmal aufbrausend gesprochen. Als wäre das eine Idee der Opposition. Zweihunderttausend Menschen, die verenden, die versinken, die untergehen, wenn nicht ich, wenn nicht Urspring. So sollte ich das sprechen.
    Ob Hannah bei unserer ersten Trainingsfahrt gerne mitfahren würde? fragte ich sie. Walter hatte unzählige Fahrräder mitgebracht. Doch sie sagte nein. Bitte nicht. Dafür kam März mit uns, um sich ein Bild zu machen – und mit ihm drei Sicherheitsbeamte. Walter verteilte Fahrräder und Helme und Trikots. Für März waren das modische Albernheiten, doch Walter ließ sich davon nicht abbringen.
    Wir übten Rampen: zum Beispiel eine Rollstuhlauffahrt am Eingang der Klinik oder eine Auffahrt hinter der Klinikküche. Anfahren, runterschalten, dann im Wiegetritt nach oben. So gehe das. Walter machte es vor. Mit einigen beiläufigen Pedalumdrehungen war er oben. Wir sollten es nachmachen. März war ungehalten. Er traf die Pedale nicht. Er verschaltete sich. Um ein

Weitere Kostenlose Bücher