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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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Doch sie stiegen im 19 . Jahrhundert von ihren Pferden und wurden zu Gehern. Der Wahlkämpfer als unermüdlich Gehender. Anfänglich noch ein Schreiten, dann mehr und mehr ein gehetztes, geducktes Gehen oder Nachlaufen, am Ende gar ein Hinterherlaufen. Hier bin ich. Bitte wählen Sie mich. Bitte!
    Doch der zukünftige Wahlkämpfer, so Frau Caillieux, er sei kein Reiter oder Geher oder Nachläufer mehr, sondern eine radfahrende Erscheinung, ein rouleur … Das sei weit mehr als nur eine Begleitbewegung eines Wahlkampfes, das sei dessen Inbegriff und Zukunft …
    So weit Frau Caillieux.
    März und die anderen saßen sprachlos.
    Und warum sollte der Ministerpräsident den rumänischen Premierminister nicht mit dem Fahrrad auf dem Landesflughafen abholen? So Frau Caillieux. Was spreche dagegen? Es wäre zumindest ein Bild. Und es gehe in einem Wahlkampf um Bilder. Und sie erklärte, dass es insbesondere Bilder seien, die den Reden eines Wahlkampfs einen Rahmen verleihen, einen Bedeutungsrahmen. Ein Ministerpräsident fährt mit dem Fahrrad auf die Bühne eines Parteitags. Das pariere alle gesundheitlichen Zweifel und Fragen. Es sage mehr als jede Rede. Das sei bereits die Rede, zumindest ihre eigentliche Botschaft. Und die Botschaft sei zugleich politisches Programm … Und ein solches Programm sei nicht wahllos oder zufällig, sondern es entspringe einer persönlichen Geschichte: ein Ministerpräsident, ein Autounfall, im Krankenhaus, innere Einkehr, neuartige Einsichten, Hinwendung zur Natur – Auftritt beim Sonderparteitag mit dem Fahrrad. All das sei bereits erzählt, noch bevor die Rede überhaupt gehalten sei.
    März, der müde war, sagte, er werde darüber nachdenken. Er wollte zu Bett gehen, das sich in einem Schwesternzimmer der Klinik befand. Die Klinik hatte ihm dieses Zimmer extra bereitgestellt. Schon seit Wochen übernachtete er in diesem Zimmer. Manchmal pendelte er, frühmorgens oder spätabends, im Morgenmantel und mit Aktenordnern zwischen unseren Zimmern, ging von meinem Zimmer in sein Zimmer und wieder zurück. Er sah dann aus wie ein Mitpatient. Andere Patienten machten sich darüber lustig. Sind auch Sie nun Patient? Doch März beachtete das kaum. Einmal war sein Klinikzimmer belegt. Doch er ging nicht nach Hause. Er ließ sich ein Faltbett in mein Zimmer bringen, um dort zu schlafen. Nachts sprach er im Schlaf. Oder er lag flüsternd mit seinem Handy unter der Bettdecke. Als Frau Wolkenbauer ihn morgens bei der Visite entdeckte, schimpfte sie nicht, sondern sie lächelte. Manchmal habe ich den Eindruck, er tut ihr leid.
    Er werde darüber nachdenken, über Frau Caillieux’ Ausführungen und Vorschläge. So März. Frau Caillieux sehe die Dinge sehr kühn und akademisch. Sagte März. Sie habe zahlreiche Bücher geschrieben, insbesondere über Wahlkämpfe. Wahlkämpfe als politisches Play-back. Ein Abspielen. Das seien Wahlkämpfe. Ein Abspielen dessen, was unabweisbar gesetzt sei. Zum Beispiel das Abspielen vorproduzierter Reden. Das seien Wahlkämpfe. Perfekte Reden, Reden an der Grenze zur Musik, symphonische Kunstwerke, die sich in ständiger Wiederholung verbreiten. So sehe sie Wahlkämpfe. Oder Wahlkämpfe als Bilder und Erzählungen. Jeder Wahlkampf sei eine Abfolge großer und kleiner Erzählungen. Gelebte Romane. Getragen von universalen Handlungen … Nun also ihre Fahrradidee. März fragte mich, was ich von der Idee halte? Zum ersten Mal fragte er mich, was ich von einer Sache halte.
    Später sagte er: Es bleibt wohl nichts anderes übrig. Er sagte das seufzend. Und für einen Moment hörte ich den Tonfall meines Vaters. Wie mein Vater, Bertram Urspring, das gesagt hätte: Es bleibt wohl nichts anderes übrig.
    Und März saß wieder am Telefon: Man müsse den Radtrainer Walter holen. Er müsse einen Trainingsplan für mich erstellen. Und er telefonierte mit der Abteilung R EDEN im Staatsministerium, dass all meine Reden künftig Umweltschutz und Natur zum Thema haben sollten, ausgehend vom Fahrrad. Und er telefonierte mit Hannah, dass wir beide, sie und ich, unter Hochdruck an der Aufzeichnung der Rede zum Sonderparteitag arbeiten sollten. Dass man die Rede an einigen Stellen umformulieren müsse, dass man das Thema Radfahren in aller Deutlichkeit anschlagen müsse, und einiges mehr.
    Wann mein Vater das gesagt habe? fragte Frau Wolkenbauer. Es bleibt wohl nichts anderes übrig. Bei welchen Gelegenheiten er das gesagt habe? Meine Antwort: Wenn er sich in Unvermeidliches fügte. Und wann

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