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Der Ministerpräsident - ein Roman

Der Ministerpräsident - ein Roman

Titel: Der Ministerpräsident - ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klöpfer , Meyer GmbH , Co.KG
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Handgesten, innige Fingerzeige, betroffene Pausen, visionäre Armbewegungen, ein Öffnen der Arme – während ich über Kopfhörer die Rede hörte, eine Rede, die ich nicht immer verstand, die mir aber immer vertrauter wurde. Mit einem Thera-Band übten wir das Ausbreiten der Arme oder das Zeigen nach oben. Ein Hervorschnellen mit ausgestrecktem Zeigefinger … Und ich fragte März, der uns zuschaute, ich fragte ihn aus einem Gefühl der Neugierde heraus: Da das eine Parteitagsrede sei, für welche Partei ich die Rede dann halten würde? März wirkte überrascht. Er antwortete: Natürlich für unsere Partei. Ich fragte ihn: Was ist das für eine Partei? Er blickte fassungslos. Dann ging er aus dem Zimmer. Nach einigen Minuten kam er wieder zurück und nannte mir die Partei. Als ich den Namen der Partei hörte, klang mir das vertraut. Als wäre ich schon immer in dieser und in nie einer anderen Partei gewesen.
    Es gab auch keinen Zweifel mehr, dass ich am Tag des Sonderparteitags aus der Klinik entlassen werden würde. Frau Wolkenbauer fand kaum mehr Einwände, die sie hätte vorbringen können. Sie war immer seltener zu sehen. Und wenn sie zu sehen war, dann sagte sie: Jede medizinische Ordnung sei ohnehin längst verloren. Selbst mein Krankenzimmer sah kaum mehr aus wie ein Krankenzimmer, sondern eher wie ein Büro oder Konferenzzimmer. Auf den herbeigeholten Tischen standen Faxgeräte, Computer, unzählige Aktenordner. Wie eine geregelte Behandlung unter diesen Umständen überhaupt noch möglich sein könne, fragte Frau Wolkenbauer, und niemand antwortete ihr. Sie sagte zu März: Ich sei nur bedingt arbeitsfähig. Dass er das ja wisse. Dass sie ihm das wiederholt gesagt habe. Ich sei – strenggenommen – in keiner Weise arbeitsfähig. März tat das als maßlose Übertreibung oder medizinische Rechthaberei ab. Reden Sie mit Walter, sagte er. Walter sei mit meinem Trainingszustand mehr als zufrieden. Dass es darum nicht gehe, erwiderte Frau Wolkenbauer. Und sie fragte ihn: Was nach dem Parteitag geschehen werde? Wenn weitere Reden gehalten werden müssten? Wenn ich meine Amtsgeschäfte wieder aufnehmen würde? Wie das alles gehen solle? Und März erklärte ihr, dass nach dem Sonderparteitag ohnehin der Wahlkampf beginne und dass in einem Wahlkampf mehr oder weniger gleichlautende Reden gehalten würden. Hannah habe aus der Urrede des Sonderparteitags Varianten erstellt. Man könne diese Varianten an jeden beliebigen Anlass anpassen: Ob nun eine Rede auf dem deutschen Imkertag oder eine Ansprache zur Eröffnung einer Umgehungsstraße. Die tontechnischen Möglichkeiten, die Rede immer wieder neu zu variieren oder umzustellen, sie seien mannigfach. Ich würde des Weiteren durch Plakate und Fernsehspots entlastet. Denn mit dem Sonderparteitag beginne auch der Wahlkampf auf Plakatwänden und in anderen Medien, mit eindrucksvollen Bildern, die teilweise schon gemacht worden waren, insbesondere auf meinen Trainingstouren mit Walter …
    Doch Frau Wolkenbauer blieb dabei: Der Ministerpräsident sei nicht arbeitsfähig. Und damit auch nicht wahlkampffähig. Dass meine Erinnerungen weit davon entfernt seien, wieder ein Teil von mir zu sein. Und umgekehrt. Dass ich weit davon entfernt sei, ein Teil meiner Erinnerungen zu sein. Dass der Ministerpräsident unter diesen Voraussetzungen kaum arbeitsfähig sei. Dass …
    März winkte ab. März beschwichtigte. März sagte: Ich hätte ein famoses Gedächtnis. Sie könne das jederzeit überprüfen. März forderte mich auf, Ministernamen aufzusagen – und andere Namen, die ich nun aufzählte. Ich könne ihr zwölf verschiedene Staatssekretäre nennen. Aus dem Stegreif. Und ich begann damit, einige Staatssekretäre aufzulisten … Frau Wolkenbauer erwiderte: Dass es damit nicht getan sei, mein Gedächtnis aufzufüllen, mit Ministerbildern, Aktenvermerken und Verwaltungsvorschriften. Man solle mich erinnern lassen. Statt mich immerzu aufzufüllen. Sie sprach von Erinnerungsarbeit. Eine solche Arbeit habe in letzter Zeit kaum mehr stattgefunden. Sie sei verschüttet worden von einem ständigen Fließband des immer Gegenwärtigen. Man nehme mir, dem Ministerpräsidenten, die Möglichkeit des Erinnerns. Wie könne ein Mensch er selbst sein, wenn man ihn nicht sich erinnern lasse.
    März gelobte Besserung. Er sprach von einer Notlage und von der Zeit nach dem Wahlkampf. Dass diese Zeit eine gänzlich andere Zeit sein werde. Dass vieles dann besser sein werde. Dass dann auch Zeit für

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