Der Mittelstürmer: Die Geschichte eines schwulen Profi Fussballers
oft es hinauf- bzw. hinuntergehen wird. Und keiner weiß im Voraus, wann die Fahrt beendet sein wird. Sicher ist nur eines: Um ein Hoch zu erleben, muss erst mal ein Tief überwunden werden.
Jene Spieler, die ihre Anerkennung, ihre Stärke und ihre Sicherheit zum Großteil nur durch die Außenwelt erfahren können (durch Zuneigung von Fans und Medien oder durch Lob der Trainer) sind besonders gefährdet, wenn es mal nicht so läuft. Gerade sie sind dann in Gefahr, an den harten Urteilen der Außenwelt zu zerbrechen. Sie verlieren rasch ihr mühsam aufgebautes Selbstvertrauen, wenn sich der Trainer, die Kollegen oder die Fans abwenden. Es heißt dann recht oberflächlich, dass »der Spieler in einer Krise steckt« oder »mit dem Druck nicht umgehen kann«.
Meistens ist es jedoch nur so, dass wir vergessen haben, den Spieler abseits des Spielfeldes als normalen Menschen zu behandeln bzw. seine normalen Bedürfnisse zu respektieren. Ihm die Bestätigung zu geben, ein wertvoller Mensch zu sein, ohne dabei das Ergebnis des letzten Spieltages im Hinterkopf zu haben. Bei der Betrachtung der Tabelle vergessen wir nur allzu schnell, dass eigentlich wir Bertreuer das wichtigste und einzige Sicherheitsnetz dieser Spieler sind. Dass Respekt und Dialog in richtiger Dosierung bei Spielern aller Leistungs- und Gehaltsstufen wahre Wunder bewirken können. Weder Prämien noch sonstige Auszeichnungen besitzen ähnliche Kräfte.
Ovid spricht in seinem Werk »Ars Amatoria« davon, dass sich »im Spiel unsere Seelen unverhüllt zeigen.« Ein Trainerkollege erzählte mir vor wenigen Monaten von einer Unterhaltung mit seinem damaligen Schützling David Beckham. Auf seine großen Werbekampagnen angesprochen meinte David schlicht und einfach: »Du kannst mein Bild überall auf der Welt sehen, aber meine Seele findest du nur hier auf dem Platz.«
Wir alle, die wir am Fußball direkt oder indirekt beteiligt sind, sei es nun als Teamkollegen, Trainer, Betreuer, Fans oder Medien, müssen akzeptieren lernen, dass wir dem Spieler auch abseits des Spielfeldes die Chance geben müssen, authentisch sein zu dürfen. Wir dürfen niemals vergessen, dass es in erster Linie darum geht, den Wert des Menschen zu sehen und zu schätzen. Nur dann kann der Mesch auch als Spieler auf lange Sicht Leistung bringen und optimal zur Faszination des Sports beitragen, die uns alle fesselt.
Ich hoffe, dass dieses Buch von Julian Altmann, dem lieben Freund unserer Familie, dazu beitragen kann, die Natürlichkeit unserer Mitmenschen berücksichtigen und respektieren zu lehren.
Ganz im Sinne von Valdanos Erinnerungen über den Straßenfußball in Argentinien: »Wenn einer genau hinsah, dann konnte er aus dieser Erfahrung allgemeine Erkenntnisse über das Verhalten der Menschen und die Funktionsweise der Gesellschaft mitnehmen. Ich habe schon immer gern an die Fähigkeit des Fußballs geglaubt, das Andersartige zu integrieren, denn diese spontanen Spiele erwiesen sich als ungeordnete Schule der Toleranz.«
Hans Leitert
London, 01. Juni 2010
1. Buch
1.
Es roch nach Chlor und altem Schweiß. Der Raum war dampfig, dunkel und wirkte wie eine Halle aus einer anderen Zeit. Darin verteilt saßen gelangweilt fremde Männer. Alte ungepflegte Männer. Sie starrten ihn ohne Scham an. Marc wollte aufzustehen, aber er war gelähmt. Jeder Versuch zu fliehen misslang. Da spürte er eine raue Hand auf seinem Oberschenkel. Warum konnte er seine Beine nicht bewegen? Angst durchfuhr seinen Körper. Angst und Ekel. Am liebsten hätte er geschrien, aber jeder Laut blieb ihm im Hals stecken. Langsam näherten sich die Gestalten und streckten ihre gierigen Hände nach ihm aus. Er wollt sich wehren. Doch jede Kraftanstrengung zerrann wie der feuchte Nebel um ihn herum. Die Situation wurde immer unerträglicher. Er rang nach Luft, doch er schaffte es nicht auszuatmen.
In einem seltsamen Wachschlaf wälzte sich Marc unruhig hin und her. Er hatte Schwierigkeiten, seine Augen zu öffnen. Von draußen hörte man die quietschenden Reifen eines Busses. Schweiß rann ihm über die Stirn und über seinen Oberkörper, bildete einen kleinen See in seiner Nabelöffnung. Wieder und wieder zwang er sich, seine Augen zu öffnen. Erst mal nur eins, hoffte er. Nur ein kleiner verschwommener Schein. Ja! Endlich erkannte er eine der Wände in seinem Schlafzimmer. Zwischen den Schatten der Jalousien tauchten die schemenhaften Umrisse eines Bildes auf. Anfangs nur schwarz-weiß. Die Konturen wurden
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