Der Mittelstürmer: Die Geschichte eines schwulen Profi Fussballers
ob sie beide, jeder für sich, ein Geheimnis in sich trugen. Aber sie würde diesen Gedanken nie aussprechen.
»Nachdem du weg warst, sind fast alle von der Insel fortgegangen. Und die, die hier geblieben sind, haben mich nicht verstanden. Aber ich sage dir, Marc, ich wusste, dass ich das schaffen würde. Um jeden Preis.«
»Um jeden?«, Marc hob seine Augenbrauen.
Sie blickte ihn an, aber als sie zu reden begann, konnte sie nicht in sein Gesicht blicken. »Ja, um jeden! Ich bin nach Bangkok und lernte dort Ladyboys kennen. Ich lernte ihre Lebensweise, ihre Gedanken kennen. Diese Erfahrung hat mich darin bestärkt. Ich habe es mir nicht einfach gemacht – und, glaub mir, es gibt für mich, für uns: Frauen, Männer und uns. Wir leben nicht in der Hoffnung, Frauen zu werden oder zu sein. Wir sind ganz einfach Ladyboys.«
Marc faszinierte diese Naivität, diese Einfachheit der Thailänder. Ihn, den Europäer, überforderte das Thema. »Ich würde dich gerne so viel fragen, aber ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll?«
Mary lachte. »Und ich werde dir heute auch nicht alles bis ins kleinste Detail erzählen. Ich denke, ich habe dich heute genug geschockt. Nimm alle Klischees her, die über uns gemunkelt werden, multipliziere sie mit zwei, und du kennst meine Geschichte.«
Marc sah Mary zuerst fassungslos an. Dann mussten beide aus tiefstem Herzen lachen.
In bester Laune verließen sie das Café, schlenderten über den Hauptplatz, hielten eine fahrende Garküche an und gingen mit dem gekauften Essen nach Hause.
Dort zeigte Mary ihm voller Stolz ihr Zimmer. Überall an der Wand hingen tatsächlich Bilder von Marc – als Fußballer in Aktion. Aber es gab noch andere Bilder. Nämlich Mary in Aktion. Mary, der Star der Show in der ›Banana Bar‹. Sie wollte sie ihm zuerst nicht zeigen, da sie glaubte, ihn damit zu überfordern. Aber Marc war fasziniert.
»Ehrlich, du bist so eine schöne Frau. Und ich denke mir, um an so ein Ziel zu kommen, braucht man eine enorme Disziplin. Das ist genauso wie bei mir mit dem Fußball. Ohne Disziplin wirst du nie deine Träume verwirklichen.«
Mary hörte ihm gebannt zu. Innerlich schwelgte sie vor Stolz. Er hat sie eine schöne Frau genannt. Sie spürte, er meinte es ernst und er achtete sie als Menschen. Nur selten in ihrem Leben erfuhr sie so eine Akzeptanz, und das machte sie glücklich.
Rachen kam die üblichen thailändischen zwei Stunden zu spät. Mary fiel das gar nicht auf, und Marc wunderte sich über die Gelassenheit und darüber, wie schnell er sich wieder an die Mentalität dieses Volkes gewöhnt hatte. Rachen setzte sich zu Marc an den Verandatisch und öffnete eine Tasche mit mitgebrachten Leckereien. Marc, der vor zwei Stunden eigentlich schon gegessen hatte, begann, die Köstlichkeiten mit Heißhunger hinunterzuschlingen. Mary hatte sich in ihr Zimmer verzogen, um sich auf ihre Show vorzubereiten.
»Ich wollte es dir am Telefon nicht erzählen, was aus Mari geworden ist. Verstehst du das?«
Marc nickte, während er sich ein Stück knusprige Ente in den Mund schob.
»Ich wusste auch nicht wirklich, wie du drauf bist. Wir haben uns ja so lange nicht gesehen. Und du bist seit einer Ewigkeit in Europa.«
Marc winkte ab: »Du musst dich nicht rechtfertigen. Ich bin jetzt hier bei euch, bei dir. Das ist gut so. Natürlich muss ich mich erst an Mary gewöhnen, aber der Mensch ist doch noch derselbe. Und ob Mari oder Mary, er war und sie ist immer noch ein liebenswerter und besonderer Mensch.«
Rachen wunderte sich über so viel Aufgeschlossenheit. War Marc nicht immer der verschlossene Europäer gewesen, dem man alles aus der Nase ziehen musste? Der unter dem Pantoffel seines Vaters stand und immer nur Ball spielte? Bei dem man manchmal sogar annehmen musste, dass sein Hirn einer Kugel glich?
»Hast du etwa was mit Mary?« Diese Frage kam hart und aus heiterem Himmel. Rachen beantwortete sie mit derselben Patzigkeit: »Nein.«
Pause.
»Weißt du, Mary ist noch nicht ganz fertig.«
»Was meinst du damit?«
»Na ja, genau so, wie ich es sagte, sie hat noch eine Operation vor sich.«
Jetzt begriff Marc und genierte sich gleichzeitig für seine Begriffsstutzigkeit.
»Und so eine Operation ist für uns hier sehr teuer. Ich habe ihr gesagt, sie kann bei mir wohnen, solange sie möchte. Sie hat ja jetzt den Job in der Banana Bar. Der bringt aber sicher nicht das Geld, das sie braucht. Ich habe angefangen zu sparen. Weißt du, Marc, ich hab echt Glück
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