Der Mitternachtsdieb: Roman
hätte am liebsten gesagt: Kommt um ein Uhr nachts,
wenn der Geist wieder weg ist. Aber statt dessen sagte sie:
„Kommt so um sieben. Meine Mutter macht etwas ganz
Spezielles zum Essen."
„Japanisches Essen?"
„Ja."
„Na, ich weiß nicht so recht. Das ist alles mit rohem Fisch und so, nicht?"
„Aber natürlich nicht", lachte Mitsue. „Du meinst Sushi. Es
gibt ja nicht nur Sushi bei uns, sondern noch viele andere
köstliche Sachen. Teriyaki zum Beispiel und Sukiyaki und
Tempura-Shrimps und Gemüse..."
„Was ist Tempura?"
„Wirst schon sehen", sagte Mitsue.
Alle eingeladenen Mädchen waren sehr gespannt auf , die Party.
Am Freitag flüsterten Kenji und Mitsue miteinander. „Wo schlafen sie?" fragte Kenji.
„Zwei auf Decken bei mir im Zimmer, hat Mutter gesagt, zwei im Wohnzimmer auf Decken und die anderen beiden jede auf einer Couch."
Kenji dachte eine Weile nach. „Und wenn wir die beiden bei dir umquartieren? Das Geistermädchen ist bisher immer nur in deinem Zimmer erschienen."
„Wohin denn?" sagte Mitsue und schüttelte ratlos den Kopf. „Sonst ist doch nirgends Platz."
„Dann können wir nur noch hoffen", seufzte Kenji, „daß ein paar krank werden und nicht kommen." Aber am Freitag abend um sieben erschienen pünktlich alle sechs eingeladenen Mädchen, und keines fehlte.
Keiko hatte sich große Mühe gegeben, ein ganz besonderes Fest für die Kinder auszurichten, und alle Lieblingsspeisen Kenjis und Mitsues gekocht. Die meisten der eingeladenen Kinder hatten im Leben noch keine japanischen Speisen kennengelernt, aber alle fanden sie wundervoll. Nach dem Essen sagte Keiko: „Mr. Yamada und ich gehen jetzt zu Bett. Und Kenji geht auch auf sein Zimmer. Da seid ihr ganz unter euch. Mitsue zeigt euch, wo ihr alle schlaft."
„Ja, Mutter", sagte Mitsue. Sie hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst. Sie hatte keine Lust, da zu sein und mitanzusehen, was passierte, wenn um Mitternacht das Geistermädchen kam. Es würde ein ziemlicher Schock für alle werden, das war ihr klar. Das beste wäre, dachte sie, wenn das Geistermädchen heute nacht nicht käme.
Der erste Teil des Abends verlief recht gut. Die Kinder machten Spiele. Alle Mädchen hatten ihre Barbie-Puppen mitgebracht, und es machte ihnen viel Spaß, ihnen die verschiedenen Kleider anzuziehen. Als sie genug davon hatten, spielten sie Karten, und danach sahen sie ein wenig fern. Alle amüsierten sich großartig. Außer Mitsue, die um so nervöser wurde, je später es war. Sie hoffte inständig, die Mädchen würden bald müde sein und früh schlafen gehen wollen. Aber statt dessen schien ihnen die Unternehmungslust überhaupt nicht auszugehen.
Schließlich hielt sie es gegen elf Uhr nicht mehr aus. Sie sagte: „Ach, bin ich müde. Morgen früh müssen wir alle wieder raus. Sollen wir nicht schlafen gehen?"
Die Mädchen stimmten zögerlich zu. Mitsue wies ihnen ihre Schlafplätze an. Sie gingen nacheinander ins Bad, zogen ihre Pyjamas an, wuschen sich und waren fertig für das Bett. Mitsue sagte allen gute Nacht. „Gute Nacht, Mitsue", sagten alle.
Die vier Mädchen, die im Wohnzimmer auf der Couch und am Boden schlafen sollten, legten sich zur Ruhe. Die anderen beiden fragten Mitsue: Und wo sollen wir schlafen?" „Hier drinnen", sagte Mitsue und führte sie in ihr Zimmer, wo schon zwei Kissen und Decken auf dem Boden ausgebreitet waren. „Ihr schlaft hier in meinem Zimmer", sagte sie und fügte hoffnungsvoll hinzu: „Oder vielleicht wäre euch ein anderes Zimmer lieber?"
„Nein, nein", sagten die beiden Mädchen aber sogleich. „Das ist schon in Ordnung hier, danke."
Mitsue seufzte. Sie sah es schon lebhaft vor sich, wie um Mitternacht das Geistermädchen kam und die beiden Gäste zu Tode erschreckte. Die rannten dann vermutlich davon und schrien wie am Spieß. Und in der Schule ging dann überall die Ansicht um, daß sie eine totale Spinnerin war, und niemand sprach mehr ein Wort mit ihr. Mein ganzes Leben ist ruiniert, dachte sie ganz am Boden zerstört. Total ruiniert. Sie legte sich in ihr Bett und löschte das Licht. In der Wohnung war es nun völlig still. Es war viertel nach elf. Ich bleibe wach, bis sie kommt, dachte Mitsue. Vielleicht kann ich sie überreden, daß sie wieder verschwindet. Sie lag da, hellwach, aber sie wurde, als die Minuten vorübertickten, doch allmählich schläfrig. Es war ein langer Tag gewesen, und die Aufregung und Angst vor dem, was passieren könnte, hatten sie doch ermüdet. Die Augen
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